Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
das Glas unter das Bett und wartete geduldig, bis alle Geräusche verstummt und alle Lichter gelöscht waren.
Er stand auf, zog sich aus, schaltete sein Nachttischlämpchen ein und nahm seine Beute mit ins Bett. Dann stopfte er die Bettdecke sorgfältig an allen Seiten fest und kroch darunter. Er öffnete das Glas, sperrte die Augen weit auf und hielt die Luft an.
Er sah die Hand nicht vor den Augen. Konnte die Spinne ihn sehen? Es war wahnsinnig spannend. Er wartete geduldig. Irgendwann spürte er ein Krabbeln auf dem Rücken. Er griff zu, verfehlte das Tier, war aber geschickt genug, die Bettdecke nirgendwo herauszuziehen. Jetzt würde die Spinne am eigenen Leib erfahren, was es bedeutete, eingesperrt zu sein. Es gab keinen Ausweg für sie, keinen Weg zurück.
Er stützte sich auf Ellbogen und Knien ab und krümmte den Rücken, um sich auf die nichts ahnende Spinne fallen zu lassen, wenn sie unter ihm hindurchkrabbelte. Als auch dieser Plan misslang – er fühlte, wie das Tier über seine Wange weghuschte –, wurde er wild, schlug ziellos um sich und begrub den Kopf schluchzend im Bettzeug.
Als er schließlich aufblickte und die ungnädigen Lichtstrahlen wie Dolche sein Herz durchbohrten, krümmte er sich wie ein Embryo zusammen und schluchzte herzzerreißend. Da fühlte er die Spinne am Ohr. Anstatt wild herumzufuchteln, legte er diesmal einfach die gewölbte Hand über das Tier.
Das Biest gebärdete sich wie wahnsinnig. Er fühlte seine Todesangst in seiner Handfläche und empfand eine tiefe Befriedigung. In diesem Moment überwand er seine Spinnenphobie. Er ballte die Hand ganz langsam zur Faust, zerquetschte seine Angst wie ein niederes Insekt, wischte den Spinnenmatsch achtlos an dem Matratzenüberzug ab und sank in einen erholsamen Schlaf.
Josef Hermans öffnete die Augen und schaute sich langsam um. Wo immer seine Blicke hinfielen, senkte jeder demütig den Kopf. Diese Rolle hatte echte Vorzüge. Er entblößte die Zähne, blähte die Nasenflügel und starrte das Foto an der Wand an.
[home]
14
D eleu lag der Länge nach auf dem Bett, blies den Rauch seiner Belga in Kringeln zur Decke und ließ seinen Gedanken freien Lauf.
Das Wochenende mit Barbara und Rob und die Ruhe in ihrem Landhaus in den Ardennen hatten ihm gutgetan. Barbara hatte sein Lieblingsessen zubereitet, Hackbällchen in Tomatensauce mit Herzoginkartoffeln. Anschließend hatten sie wie früher einen langen Waldspaziergang unternommen. Rob hatte sie sogar ein Stück begleitet. Nach zwei Kilometern hatte er zwar wieder kehrtgemacht, aber für Rob musste diese Strecke einen absoluten Rekord bedeuten.
Als Deleu und Barbara dann auf dem mit Efeu überwucherten Baumstumpf saßen, auf dem sie immer ihren Proviant verzehrten, hatte Barbara ihm ins Ohr geflüstert, dass er noch einmal Vater würde.
Die Nachricht haute ihn buchstäblich um: Er fiel rückwärts hintenüber. Barbara landete auf ihm, und er ließ sich widerstandslos überwältigen. Sie liebten sich wie damals beim ersten Mal. Auch daran konnte er sich noch in allen Einzelheiten erinnern: Es war auf dem Rücksitz seines R 4 geschehen, auf dem Parkplatz des Friedhofs von Eppegem.
Deleu hatte ihre Vereinigung im Wald, siebzehn Jahre später, als mindestens genauso intensiv erlebt wie damals in seinem R 4 . Als sie nach dem wilden Sex langsam wieder zu sich kamen, hatte er Barbara gefragt, ob Rob schon Bescheid wisse. Barbara hatte sich wahrscheinlich nicht getraut und zog sich mit der Ausrede aus der Affäre, dass dies in den Aufgabenbereich des Erzeugers gehöre.
Und hier lag er jetzt, Dirk Deleu, ausgepumpt auf dem Bett, und fragte sich verzweifelt, wie er seinem Sohn die frohe Botschaft überbringen sollte. Außerdem hoffte er inständig, dass es ein Mädchen würde. Barbara wünschte sich so sehr eine Tochter! Sie sagte es zwar nie ausdrücklich, aber Deleu kannte seine Frau. Er kannte sie durch und durch.
Und wie würde Rob reagieren? Würde er erröten? Würde er seinen Vater vorwurfsvoll anschauen? Aber man musste doch davon ausgehen, dass Mann und Frau regelmäßig miteinander schliefen. Oder sah ein Sohn das anders? Betrachtete er seinen Vater als Konkurrenten? Lauter Fragen … und keine Antworten.
Barbara war schon klammheimlich auf Schnäppchenjagd gewesen, die niedlichen kleinen Sachen stapelten sich, und er, Dirk Deleu, fühlte sich ausgeschlossen. Er fragte sich offen gestanden, was das alles hier sollte und ob er nicht lieber auf der Stelle und für
Weitere Kostenlose Bücher