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Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen

Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen

Titel: Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luc Deflo
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Butterbrot und rutschte dabei nervös auf dem Stuhl hin und her. Es kam ihm vor, als habe sich all sein Blut in diesem einen Körperteil angesammelt. Diesem Körperteil, der dringend eine Entladung brauchte.
    »Bis morgen, Marcel«, sagte der Pastor herrisch, als verscheuche er eine Fliege.
    Der Küster drehte sich um, schlurfte in die Kirche und dachte – mit Recht – darüber nach, wie extrem sich die Laune seines Chefs von einem Moment zum anderen wandeln konnte. Er hatte das Gefühl, dass der Pastor ihn eigentlich nicht mochte, und bangte ständig um seine Anstellung.
     
    Obwohl es eiskalt darin war, roch es muffig im Keller. Doch das störte ihn nicht, im Gegenteil, Hermans genoss den kalten Luftzug, der über seine glühend heißen Wangen strich.
    Mit einem Gefühl der Machtlosigkeit wischte er den Glibber von der Wand. Wahrscheinlich würde es ihm nie gelingen, vom Fußboden aus ins Gesicht seiner Großmutter zu ejakulieren. Gleichgültig verstaute er sein schlaffes Glied in der Unterhose und warf das Stück Küchenpapier in den Metallmülleimer. Er roch an seinem Handballen, biss hinein, ging zur Kühltruhe in der Ecke, stellte die leeren Bierkästen hinunter auf den Boden, zog das grauweiße Laken vom Deckel und öffnete ihn. Er wühlte ein wenig in der Truhe herum, schob die eingefrorene Minestrone – sein Lieblingsessen – sowie das Tiefkühlgemüse beiseite, griff nach einer Plastiktüte, in der etwas von der Größe eines Tennisballs steckte, schaute das kleine Päckchen in seiner Hand bekümmert an und schloss die Truhe wieder. Er breitete das Laken darüber und stellte die leeren Bierkästen ordentlich an ihren Platz.
    Das hier war das Einfrieren nicht mehr wert. Er würde es auftauen lassen, das blau geäderte Fleisch von dem winzigen Schädelchen kratzen, es pressen und mit Gelatine in einem Steinguttöpfchen im Kühlschrank aufbewahren. Schon der Gedanke daran, dass es im Kühlschrank stand, würde ihn befriedigen. Wem würde es je einfallen, ein Steinguttöpfchen mit Presskopf einer näheren Untersuchung zu unterziehen? So jemanden würde man für verrückt erklären.
    Hermans grinste und löschte das Licht. Er setzte sich in den antiken Schaukelstuhl und hätschelte die Plastiktüte mit seinem letzten Fötusrest, als wäre es sein größter und einziger Besitz auf Erden, jenem Ort, an dem er gezwungenermaßen noch etwas verweilen musste.
    Er schaukelte langsam auf und ab, ignorierte die erneut aufkommende Erektion und genoss den Augenblick. Langsam öffnete er die Augen und wartete, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Das Erste, was er in der Finsternis erkennen konnte, waren die stechenden Augen seiner verstorbenen Großmutter, die starr auf ihn gerichtet waren. Es gab nur zwei Dinge auf der Welt, vor denen er sich fürchtete: die kalten Augen seiner Großmutter und die starrenden toten Augen seines großen Bruders. Vorwurfsvoll, beide schauten ihn vorwurfsvoll an.
     
    Alles kam wieder in ihm hoch. Er erinnerte sich noch ganz genau an jenen Tag, an dem ihn seine Großmutter bei seiner Mutter abgeholt hatte. Seine Mutter war nach dem tödlichen Unfall seines Vaters auf die schiefe Bahn geraten und arbeitete als Tänzerin in einem Nachtclub. Wie genau, hatte er nie herausgefunden, aber irgendwie war es seiner Großmutter gelungen, das Sorgerecht für ihn zu erhalten. Sein sieben Jahre älterer Bruder, der damals schon achtzehn war, wohnte noch bei Großmutter. Freiwillig sogar. Obwohl das andererseits gar nicht so schwer war, denn der Einfaltspinsel hockte ja die Woche über gemütlich in seinem Priesterseminar.
    Die Bilder jenes fatalen Tages leuchteten auf, als würden sie von einem ratternden Super- 8 -Film auf eine Leinwand projiziert, und immer wieder sah er, wie er sich verzweifelt an Mutters Rock klammerte und wie der Polizist mit dem dicken Schnurrbart und der Boxernase ihn packte. Er trat wild um sich, aber es nutzte alles nichts. Hinten im Streifenwagen schlug er mit dem Kopf gegen die Metalltrennwand, bis es blutete.
    Großmutter, die stocksteif neben ihm saß, rührte sich nicht. Sie hatte nur diesen verbitterten Zug um die schmalen Lippen. Diesen Zug, der ihr angeboren war. Damals, im Streifenwagen, da hätte er ihr die Kehle durchbeißen sollen. Der Pastor griff sich an den Kopf, und seine Finger verkrallten sich in seinen kurzgeschnittenen Haaren. Wieder diese stechenden Kopfschmerzen.
    Großmutter war hart und unerbittlich. Jeder Fehler wurde im Keim erstickt,

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