Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
nie!
Die Haltestellen folgten einander in raschem Tempo. Deleu war nervös und kribbelig. Er roch an seinem Handballen. Lavendel. Er fragte sich, was er jetzt nun wieder angestellt hatte, und schämte sich, weil er das Bad der ermordeten Familie missbraucht hatte.
Je weiter sich die U-Bahn vom Brüsseler Hauptbahnhof entfernte, desto mehr Ausländer stiegen zu. Die Frau hatte ihm am Telefon versichert, die Avenue Roosevelt läge in einem noblen Viertel und er brauche sich keine Sorgen um sein Auto zu machen. Dennoch hatte er es nicht gewagt, mit seinem Dienstwagen zu fahren – schließlich konnte man nicht vorsichtig genug sein –, und stattdessen beschlossen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Er ertappte sich dabei, dass er in der Menge nach bekannten Gesichtern Ausschau hielt.
»Beaulieu«, endlich! Deleu stieg aus und folgte der Menschenmenge. Er ließ sich mittreiben bis auf die Rolltreppe, und als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, versuchte er, sich zu orientieren.
Er erkundigte sich bei einem rüstigen alten Herrn nach der Avenue Michiels und erfuhr auf Französisch, zehn Meter weiter hinge ein Stadtplan von Brüssel. Deleu nahm sich vor, ab jetzt niemanden mehr irgendetwas zu fragen, und studierte den Plan. Als er einmal die Avenue Michiels gefunden hatte, wusste er zumindest die grobe Richtung. Von da aus würde er es schon finden, er hatte den kürzesten Weg vorher herausgesucht und sich die Straßennamen aufgeschrieben.
Er überquerte die belebte Straße und schaute auf das Straßennamensschild. Avenue Michiels. Er setzte seinen Weg fort, und ein Schauder lief ihm über den Rücken – eine Mischung aus Angst und Aufregung. Die Avenue erwies sich als eine baumbestandene Allee, die sich elegant hügelabwärts schlängelte. Was die Wohngegend betraf, hatte Danielle jedenfalls nicht gelogen.
Nach etwa zwanzig Minuten – Deleu musste nur einmal an einer Tankstelle nach dem Weg fragen – befand er sich in der Avenue Roosevelt. Nummer Vierundzwanzig, dann musste Nummer Siebenundvierzig auf der anderen Straßenseite sein. Er überquerte den stark befahrenen Boulevard und machte sich auf die Suche.
Er gelangte zu einem stattlichen Herrenhaus, das wahrscheinlich in mehrere Apartments unterteilt war. Es sah monumental und schick aus. Vor der Tür schrubbte eine Frau mit schmuddeliger blauer Schürze um den formlosen Leib und einer Plastikhaube auf den dauergewellten Haaren den Bürgersteig.
Deleu vergewisserte sich nochmals, dass dies die richtige Hausnummer war, und setzte dann lässig seinen Weg fort. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es dreizehn nach zwei war. Er hatte einen Termin um halb drei. Heimlich warf er einen Blick nach oben. Danielle wohnte im vierten Stock.
Er bog in die angrenzende Straße ein und blieb stehen. Verzweifelt fragte er sich, was er tun sollte. Sollte er weitermachen oder nicht? Er war glücklich verheiratet, hatte eine attraktive Frau und ein befriedigendes Liebesleben.
Die Zigarette schmeckte. Er inhalierte den Rauch extra tief. Wurde da eine Gardine beiseitegeschoben, oder spielte ihm seine Phantasie einen Streich? Er wartete noch einen Augenblick. Vielleicht war der Freier vor ihm noch oben. Er hatte keine Lust, im Treppenhaus einem parfümierten Kerl zu begegnen, der seine »Behandlung« gerade hinter sich hatte.
Deleu warf seine Kippe weg, trat sie aus und setzte sich zögernd in Bewegung. Mist, hatte er es sich doch gedacht, die Putzfrau war immer noch beim Schrubben, und jetzt auch noch genau unter der Sprechanlage. Deleu ignorierte ihren forschenden Blick und klingelte.
»Allo?«
»C’est Dirk.«
»Je vous attends.«
Der Türöffner summte. Deleu drückte die Alu-Glastür auf und betrat den Lift, eine uralte Holzkabine von kaum einem Quadratmeter, und drückte auf die Vier. Was, wenn der wacklige Lift unterwegs steckenblieb? Ach, er konnte Bosmans immer noch weismachen, dass er Danielle noch einmal auf den Zahn fühlen wollte. Obwohl ihn Bosmans vermutlich durchschauen würde. So leicht ließ er sich nicht hinters Licht führen. Was sollte er Barbara dann vorlügen? Die Tür schwang auf, und Danielle erwartete ihn schon in voller Pracht, die samtbraune Haut lediglich verhüllt von einem Satinmorgenmantel.
Deleu atmete tief ein und wagte den Sprung ins Unbekannte.
[home]
17
D eleu sprang in seinen Wagen und holte das summende Handy aus dem Handschuhfach. Mist! Sieben Nachrichten. Sieben! Und alle von Jos Bosmans. Er rief ihn
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