Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
kannst du ja ausziehen!«
Schweigen.
»Okay, nächste Woche Hausarrest.«
Rob hatte immer noch diesen angespannten Zug um den Mund, blieb aber stumm. Zähneknirschend fragte sich Deleu, von wem er diesen Charakterzug wohl hatte.
»Und die Woche danach auch. Und die danach auch. Aller guten Dinge sind drei. Den Rest kannst du morgen mit deiner Mutter klären!«
»Lass bloß Mama aus dem Spiel«, schluchzte Rob.
Deleu seufzte, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben seinen Sohn. »Was ist passiert, Junge? Warum hast du dich geprügelt?«
Rob zuckte mit den Schultern und wischte sich die Tränen aus den Augen. Deleu zeigte auf sein Veilchen.
»Wer war das, Rob?«
»Pierre Moreaux.«
»Ah, der ist also an allem schuld?«
»Nein, Papa, wenn du’s genau wissen willst, du bist an allem schuld … Glaube ich jedenfalls.«
»Wer, ich?«
»Ja, du.«
»Dann erklär mir doch bitte mal, was ich falsch gemacht habe.«
»Pierre hatte einen Zeitungsartikel dabei, in dem steht, du hättest eine andere Frau, und ich habe gesagt, das wären Lügenmärchen, und so hat alles angefangen.« Er schwieg einen Moment. »Stimmt das, Papa? Stimmt das, was in der Zeitung steht?«
Deleu dachte fieberhaft nach und starrte den Kühlschrank an. Rob drehte sich um und flüsterte: »Also stimmt es.«
Noch bevor Deleu antworten konnte, war Rob schon aufgesprungen und weggelaufen. Deleu hörte ihn die Treppe hinauftrampeln wie eine Horde Bisons. Er trank sein Pils aus, löschte alle Lichter und stieg die Treppe hinauf wie ein neunzigjähriger Rheumapatient.
[home]
27
I n ihrer Wohnung in Mechelen stellte Maggie Uyttebroeck ihre Einkaufstasche auf den Küchentisch, schob, ohne das Licht einzuschalten, die Gardine ein Stück beiseite und schaute durch den Spalt hinaus. Der Keldermansvest lag verlassen da. Nur das glänzende Kopfsteinpflaster und der trostlose Nieselregen, der da und dort von der orangefarbenen Glut der Straßenlaternen eingefangen wurde, erweckten einen Anschein von Leben.
Maggie hängte ihren feuchten Regenmantel an die Garderobe und setzte sich, die Hände im Schoß, in den großen Eichenschaukelstuhl. Obwohl ihre Wohnung klein, dunkel und feucht war, pries sie sich glücklich, sie so schnell gefunden zu haben. Sie war billig und obendrein möbliert. Sie hatte nur zwei Dinge von zu Hause mitgenommen: ihren Reisekoffer voller Kleider und Toilettenartikel und ihr Fahrrad.
Seitdem sie hier wohnte, hatte sie nur zwei Mal mit ihrer Mutter telefoniert, aber diese hatte sie dermaßen ausgeschimpft, dass sie sich nicht traute, noch einmal anzurufen. Sie hatte ihr nicht mal erzählt, wo sie wohnte, denn andernfalls würde sie garantiert innerhalb von zehn Minuten bei ihr vor der Tür stehen.
Der Bruch war unwiderruflich. Selbst wenn sie eine Lösung für die unerwünschte Schwangerschaft fände, würde sie es nicht mehr wagen, ihrer Mutter unter die Augen zu treten. Sie dachte an zu Hause, an Mama, an den Tod von Papa, der im Herbst letzten Jahres an einem Herzinfarkt gestorben war, und an Rubbels, ihren Plüschbären, ihr geliebtes Kuscheltier schon seit dem Kindergarten. In ihrer Eile hatte sie Rubbels vergessen.
Ach, Rubbels ging es zu Hause sicher besser. Ihre Mutter würde schon gut auf ihn aufpassen, denn sie hatte ihn damals selbst gemacht. Und man vergreift sich doch nicht an etwas, das man selbst gemacht hat.
Für Maggie war Rubbels immer Bruder und Schwester zugleich gewesen. Sie wischte sich eine Träne von der Wange und ging in die Küche, um sich eine Tasse Tee zu kochen.
Um Punkt sieben Uhr, das Wasser kochte gerade, und der aufsteigende Wasserdampf bildete Tröpfchen an der abblätternden Farbe des Küchenfensters, klingelte es an der Haustür. Maggie blieb stocksteif stehen. Schon unterwegs hatte sie das Gefühl gehabt, verfolgt zu werden. Sie riss sich zusammen und ging zur Gegensprechanlage.
Josef Hermans’ linke Hand, an der eine glänzende, schwarze Sporttasche hing, fühlte sich an wie ein Eisklumpen. Er hatte den Kragen seines Regenmantels hochgeschlagen, seine karierte Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen und die rechte Hand in die Manteltasche gesteckt.
Die Kälte eben im Gebüsch, seine patschnassen Füße, all das machte ihm gar nichts aus. Er war wie von Sinnen.
Zunächst hatte er vorgehabt, Maggie zu verfolgen und eine zufällige Begegnung zu inszenieren, sie anzusprechen und sie anschließend nach Hause zu begleiten. Doch im Supermarkt hatte er es sich anders
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