Bosmans/Deleu 02 -Totenspur
halten, meine Herren.«
Bosmans schenkte ihr ein selbstgefälliges kleines Lachen und wandte sich anschließend an Vereecken, aber noch bevor er den Mund öffnen konnte, entfuhr es dem Neuzugang der Gruppe: »Ich werde also in Zukunft der Tatsache Rechnung tragen, dass die belgische Justiz noch immer keinen Pragmatismus zu schätzen weiß.«
Bosmans schnappte nach Luft und giftete: »Inspecteur Mendonck, wir sprechen uns nach dieser Unterredung noch, und zwar unter vier Augen. Ist das klar?«
Die aufsässige junge Frau wandte sich empört ab und fixierte jetzt Deleus Schritt.
Deleu hatte den letzten Wortwechsel nicht einmal mitbekommen. Zu viel ging ihm gerade durch den Kopf: Mein Gott, was für ein Schauspiel. Nadine Versluys, das Reicheleutetöchterchen, das keine nahen Angehörigen mehr gehabt hatte, war ermordet, enthauptet und in die Docks geworfen worden. Eine andere junge Frau hatte man unterdessen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt in der Badewanne von Nadine Versluys’ Apartment zurückgelassen. »Ähneln sie einander?«, fragte er.
»Wer?«, fuhr Bosmans ihn an.
»Die beiden Leichen«, flüsterte Deleu. »Ich will wissen, ob sich die Leichen gleichen?«
»Ein ziemlich geschmackloses Wortspiel«, bemerkteNadia Mendonck, unbeeindruckt von Bosmans’ Rüffel.
Jetzt meldete sich auch Walter Vereecken aufgeregt zu Wort: »Nadine Versluys hatte tatsächlich eine Tätowierung auf dem rechten Schulterblatt, so ein modisches Ethno-Motiv! Das wissen wir von einer entfernten Tante, die zurzeit in der Provence lebt. Fotos aus dem Besitz der Dame sind bereits unterwegs zu uns.«
Jos Bosmans murmelte: »Das geht mir zu einfach.«
»Wieso denn?«, Nadia Mendonck ließ nicht locker. »Meiner Meinung nach ist es reiner Zufall, dass die Leiche in den Docks so rasch an die Oberfläche gekommen ist. An einem Arm des Corpus« – in Deleus Ohren klang das Wort »Corpus« zu technisch, ja, zu gefühllos aus dem Mund einer so schönen jungen Frau – »hing ein Seil mit einer Doppelschlinge. Wahrscheinlich war ein schwerer Stein daran befestigt, und durch die Reibung an der Kaimauer hat sich das Seil gelöst, weshalb die Leiche an die Wasseroberfläche trieb. Dies könnte zugleich eine Erklärung für die tiefen Schürfwunden an der rechten Hüfte der Toten sein.«
Jos Bosmans musterte sie forschend, schwieg einen Moment und fragte dann ironisch: »Haben Sie zufällig auch Rechtsmedizin studiert, Nadia?«
»Muss ich denn über jeden meiner Schritte Rechenschaft ablegen, Mijnheer Untersuchungsrichter? Tut mir übrigens leid wegen eben.«
»Schon gut. Sie haben hervorragende Arbeit geleistet. Ich muss mich entschuldigen.«
Auf einmal platzte der schielende Pierre abgehetzt ins Büro. »Hallo, allesamt. Tut mir leid, Stau im Kennedytunnel«, murmelte der beliebte Kollege, der einen wegen seines Sehfehlers nie direkt ansah, außer Atem. Nun starrte er betreten auf die Spitzen seiner abgetragenen Halbschuhe, bereit, einen Tadel zu kassieren.
»Das wäre aber der erste in diesem Jahr«, brummte Bosmans, ohne Pierre auch nur eines Blickes zu würdigen.
Deleu sah automatisch Nadia Mendonck an, und sie schauten sich in die Augen. Ganz kurz nur. Deleu spürte ein Kribbeln in der Magengrube und schielte zu Jos Bosmans hinüber, der nichts bemerkt zu haben schien.
Verlier bloß nicht den Kopf, Deleu. Wie alt mag das Mädchen sein? Sicher gerade erst fertig mit dem Studium, also höchstens drei- oder vierundzwanzig.
»Bei der Allgemeinen ist übrigens tatsächlich eine Lebensversicherung auf den Namen Nadine Versluys abgeschlossen worden. Das Kapital wurde vor einem Monat an eine gewisse Françoise Bourgeois ausgezahlt, eine Französin, die in Anduze lebt. Dieselbe Françoise Bourgeois, die als Empfängerin der fünfundzwanzigtausend Euro genannt ist, die nach Luxemburg überwiesen wurden. Das Geld wurde inzwischen ebenfalls abgehoben. Wir vermuten, dass bei derselben Luxemburger Bank auch die Wertpapiere in Höhe vonetwa fünfundsiebzigtausend zu Geld gemacht wurden, aber wir wissen es noch nicht mit Sicherheit«, erklärte Bosmans, der sich sonst lieber kurz fasste, ungewohnt ausführlich.
»Mist!«, fluchte Deleu. »Dann hat dieser Börsenfachmann also doch recht gehabt!«
»Wie bitte?«, fragte Bosmans.
»Du erinnerst dich doch sicher, dass ich mit dem Anlageberater der ASB-Bank in Vilvoorde gesprochen habe. Von dieser Bank stammen die Unterschriftenkarten, auf denen die Fingerabdrücke gefunden wurden. Ich habe
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