Bosmans/Deleu 02 -Totenspur
sah ihn abwartend an, seufzte und trank langsam den letzten Rest Kaffee aus. Das kräftige Kinn in die rechte Hand gestützt, ließ er den Blick durch das Büro schweifen, und seine volle Unterlippe bewegte sich kaum, als er sagte: »Wir sollten uns lieber auf den Fall konzentrieren, Dirk. Zwei junge Frauen Anfang dreißig, beide wohlhabend und einsam, die sich obendrein stark ähneln, werden ermordet und grausam verstümmelt. Nadine Versluys wird durch Zufall enthauptet in den Docks gefunden, Françoise Bourgeois wird halb verwest im Badezimmer der Versluys entdeckt, nachdem sie Gott weiß wie lange in deren Tiefkühltruhe gelegen hatte. Die Konten von Nadine Versluys wurden geplündert, und obwohl wir bis jetzt keinerlei Zusammenhänge zwischen den beiden leicht exzentrischen Frauen entdeckt haben, hat die eine zugunsten der anderen eine Lebensversicherung abgeschlossen, die ausbezahlt wurde, nachdem die Begünstigte längst tot war.« Er rieb sich nachdenklich über den Dreitagebart. »Meinst du nicht, dass wir den Versicherungsmakler und den Filialleiter der ASB-Bank noch mal etwas genauer unter die Lupe nehmen sollten?«
Deleu, der instinktiv spürte, worauf sein Freund hinauswollte, zündete sich eine Zigarette an und blies den Qualm zu der ehemals weißen und inzwischen ockerfarbenen Zimmerdecke. Er sah den bläulichen Rauchschwaden hinterher, bis sie als dünner Nebel unter der Decke schwebten, und sagte dann: »Du glaubst also,dass ein Zusammenhang zwischen dem Bankdirektor, diesem Makler und dem Mörder oder vielmehr der Mörderin besteht?«
»Ja, ich glaube sogar an eine Verbindung zu Robert Pardon. Die Frauen sind tot, und es gibt keine Erben. Niemand wird Anspruch auf dieses Geld erheben.«
Nachdenklich befühlte Deleu eine Unebenheit im Gesicht. »Klingt plausibel, da könnte durchaus was dran sein. Der Versicherungsmakler kommt auf jeden Fall in Frage. Der hat nur einen Mitarbeiter, noch dazu eine Halbtagskraft, und Freiberufler haben keine festen Arbeitszeiten. Aber die Bankangestellten? Dann müsste auch der Anlageberater, dem ich zu Hause auf den Zahn gefühlt habe, an dem Komplott irgendwie beteiligt sein.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus.
Jos Bosmans erwiderte: »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass die Mörderin – gehen wir einfach mal weiterhin von einer Frau aus – es schafft, ohne fremde Hilfe an das Geld zu kommen? Wie denn? Mit einem gefälschten Ausweis? So etwas gibt’s nur in Groschenromanen. Hast du gesehen, wie die Bank gesichert ist? Ohne die nötigen Referenzen kannst du da nicht mal Geld von deinem eigenen Konto abheben!«
Der Untersuchungsrichter stieß einen tiefen Seufzer aus, woraus Deleu schloss, dass das Gespräch beendet war. Er stand auf, nahm erneut seinen Mantel von der Garderobe und verließ, ohne ein weiteres Wort zu sagen, das stickige und nach schalem Rauch stinkende Büro.
»Die Fingerabdrücke in der Wohnung und bei der Bank! Nur die können uns Aufschluss geben. Geh morgen früh auf jeden Fall noch mal im Labor vorbei!«, rief Bosmans ihm nach.
14
Nadia Mendonck saß am Steuer ihres ockerfarbenen Clios, den sie schräg gegenüber der Villa Lobo, dem exklusiven Domizil von Robert Pardon in Leest bei Mechelen, geparkt hatte. Sie beobachtete die Einfahrt des immensen, fast 6000 Quadratmeter großen Grundstücks, das ringsum von einer meterhohen Ligusterhecke umgeben war. Als sie die Infrarotkameras auf dem schmiedeeisernen Flügeltor entdeckte, vermutete sie, dass das Anwesen hinter der Hecke zusätzlich durch einen Elektrozaun gesichert war.
Sie biss von ihrem bereits durchgeweichten Vollkornbrötchen ab und kaute kräftig. Der Wohnsitz des Politikers erinnerte sie an die Villa von Al Pacino in dem Film
Scarface
.
Die Kriminalkommissarin trank einen Schluck von ihrer Fanta und stellte sich vor, dass sich hinter diesen Mauern zwar weniger heroische, dafür aber umso mehr kriminelle Machenschaften abspielten. Sie rieb die Hände aneinander, denn im Wagen war es nacheiner Stunde des Wartens eiskalt geworden. Sie dachte an Françoise Bourgeois, stellte sich vor, wie es sich anfühlen musste, bei lebendigem Leib tiefgefroren zu werden, und erschauerte. Aus Angst, ihre Anwesenheit zu verraten, wagte sie es jedoch nicht, den Motor anzulassen. Seufzend rieb sie sich mit den klammen Händen über den Rücken.
Ihre Gedanken schweiften zu Rutger ab, der darauf bestand, auch bei diesem mehr als schlechten Wetter mit dem Motorrad unterwegs zu sein. Dieser
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