Bosmans/Deleu 02 -Totenspur
seinem Schreibtisch und blickte im Vorübergehen in den Spiegel seiner eitlen Kollegin. Die dicken Tränensäcke und die Geheimratsecken sprachen für sich. Als er vor etwa einem Monat einen Hautarzt konsultiert hatte, weil er regelmäßig ganze Haarbüschel im Abfluss entdeckte, war die Diagnose rasch gestellt: Stress.
Diesmal nahm er sich die Zeit, seinen Computer herunterzufahren, und sein Blick fiel auf das Foto von Mireille und Jonas. Seine Familie. Wie lange stand das Ding eigentlich schon hier rum und vergilbte? Jonas musste damals drei Jahre alt gewesen sein, inzwischen war er zehn. Peeters griff das Foto mit Daumen und Zeigefinger, rieb mit dem Ärmel das nikotinbeschlagene Glas sauber und betrachtete Mireille. Sie hatte sich kein bisschen verändert. Der Tumor, den die Ärzte vor genau zwei Monaten entdeckt hatten, war Gott sei Dank gutartig gewesen.
Lächelnd stellte er das gerahmte Bild wieder an seinen Platz, hängte sich seinen Fotoapparat um den Hals, schaltete das Licht aus und ging gelassen die Treppe hinunter.
Der wuchtige Tritt zwischen seine Beine wurde teilweise von der Kamera abgefangen, die er instinktiv zum Schutz vor sein bestes Stück hielt.
Während die Linse seines sündhaft teuren Nikon-Teleobjektivs zersplitterte, schrie Dirk Deleu außer sich vor Wut und aufgestautem Ärger: »Mörder!«
Gustaaf Peeters griff ins Leere, stürzte in den aufstäubendenSchnee und schmeckte das süße Blut, das von seiner aufgeplatzten Oberlippe tropfte. Als er seinen Angreifer auf sich zuspringen sah, rollte er sich zusammen wie ein Fötus und legte die Hände schützend um den Kopf.
Die quietschenden Bremsen des schweren Mercedes hörte er gar nicht, denn er hatte nur noch Augen für den Schnee, in dem er lag und der sich allmählich rot färbte.
»Dirk! Du bist mit sofortiger Wirkung suspendiert!«, hallte es durch die klare Winterluft. Dirk Deleu erstarrte. »Mijnheer Peeters, ich erwarte Sie morgen früh um neun Uhr in meinem Büro. Sie können bei mir persönlich Anzeige erstatten«, blaffte Bosmans, wobei er Deleu, der ungeschickt den Pulverschnee aus dem Rollkragen seines Pullovers klaubte, vollkommen ignorierte.
Peeters rappelte sich auf, wischte sich mit einem Taschentuch die Blutspur von der Unterlippe und zischte: »Es gibt keine Zeugen. Der Vorfall hier soll doch garantiert unter den Teppich gekehrt werden, stimmt’s?«
»Keineswegs, Mijnheer Peeters. Nicht alle Polizisten sind korrupt, genau wie es auch unbestechliche Politiker und Journalisten geben soll. Es ist nur immer derselbe miese kleine Abschaum, der in die Schlagzeilen gerät oder sie gar macht. Sie kommen allein nach Hause? Guten Abend.«
Er drehte sich noch einmal um und flüsterte: »Morgensteht es wieder fett auf allen Titelseiten. Geh doch gleich zum Fernsehen, wenn du’s so nötig hast!«
Damit marschierte er, ohne Deleu auch nur eines Blickes zu würdigen, zurück zum Mercedes. Er sah auf die Uhr. Kurz vor Mitternacht.
35
»Trumpf!«, rief Roland Alaerts, wischte sich mit dem linken Handrücken den Schaum aus dem dichten Bart und knallte mit der rechten Hand die Kreuz-Acht derart heftig auf den Tisch, dass die halb vollen Gläser wackelten. Er sammelte den Stich ein und zwinkerte seinem Kollegen Henri Scharlaeken zu, der grinsend den Daumen hob.
»Verdammt noch mal!«, murmelte Walter Vereecken leichenblass.
»Esel!«, zischte der schielende Pierre, der mit bitterböser Miene schräg gegenüber saß. »Du hast schon wieder deine Trümpfe nicht gezählt. Mensch, Walter, es sind neun Trümpfe. Neun! Du gibst.«
»Schon gut«, murmelte Walter mit ungläubigem Blick und schlug die treuen Hundeaugen nieder.
»Jeanneke!«, schrie Alaerts aus voller Brust, »lass noch mal die Luft aus den Gläsern!«
»Wie immer?«, rief die Wirtin zurück, die hinter der altmodischen Theke der Dorfkneipe De Ster die Gläsermit einem grauen Geschirrtuch polierte, als hinge ihr Leben davon ab. Eines nach dem anderen begutachtete sie im Gegenlicht der verräucherten Stehlampe, und erst wenn sie funkelten wie ein frisch geschliffener Diamant, hatten sie Anspruch auf ein Plätzchen hinter den kunstvoll gedrechselten Streben des verspiegelten Eichenregals.
»Ja, eine Runde auf die Kripo!«, sagte Alaerts grinsend und warf Vereecken, der inzwischen die graue Wand anstarrte, einen hämischen Blick zu.
»Null zu zwei für die Polizei«, frotzelte Kollege Scharlaeken, hieb Pierre, der noch immer fassungslos den Kartenstapel anblickte,
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