Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer
Benaoubi hat Abram im Auftrag von Murat beschattet und dabei wahrscheinlich etwas entdeckt. Jedenfalls war er völlig außer sich, nachdem Yussuf ihm bei uns zu Hause Bericht erstattet hatte. Das ist alles, mehr weiß ich nicht. Was der Junge gesehen hatte, hat Murat mir nie erzählt. Als Yussuf ermordet wurde, ist Said untergetaucht. Murat hat ihn ebenfalls gesucht, um die Wahrheit zu erfahren, aber es war zu spät.«
Deleu hörte gespannt zu. »Nein«, murmelte er. »Yussuf Benaoubi hat den Mörder von Dewolf ertappt, die Drogen genommen und sie seinem Freund el Hidrissi gegeben. Der ist damit zu Abram gegangen. So muss es gewesen sein.«
Danielle zuckte mit den Achseln.
»Hat es noch andere Zeugen gegeben?«
»Keine Ahnung. Ich glaube nicht.«
»Wusste der alte Benaoubi Bescheid?«
»Ali Benaoubi hat das Tun seines Sohnes geduldet. Er hatte keine andere Wahl. Yussuf war das Sprachrohr der Familie. Ihr Europäer könnt so etwas nicht verstehen.« Danielle Orolavi biss sich auf die Unterlippe. »Erzähl weiter, bitte.« »Ali war schon seit Jahren arbeitslos, und im Grunde hat Yussuf für den Familienunterhalt gesorgt. Für den gesamten Unterhalt. Als er ermordet wurde, ist für die Benaoubis eine Welt zusammengebrochen.«
»Und die Eltern von el Hidrissi?«
»Der Junge hatte keine. Der Vater ist an den Folgen eines Arbeitsunfalls gestorben.«
Deleu stützte die Ellbogen auf die Knie, legte die Stirn in die Hände und trommelte mit den Fingern auf seinem Kopf herum. »Hat Abram etwa Murats kleinen Sohn entführt?« »Das wissen wir nicht mit Sicherheit. Murat hat die Spritze und ein dazugehöriges Schreiben mit der Post zugestellt bekommen. Die Nachricht war mit ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben zusammengeklebt.«
»Was hat er mit dem Drohbrief gemacht?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich bewahrt er ihn in einem seiner Tresore auf, oder er hat ihn vernichtet. Murat teilt solche Dinge nicht mit mir.«
»Wie ist sein Sohn entführt worden?«
»Er saß abends nicht im Schulbus. Murat hat die gesamte Lehrerschaft unter Druck gesetzt und sogar bedroht, aber niemand hat etwas gesehen. Da kannst du hundertprozentig sicher sein.«
»Schon möglich«, seufzte Deleu. »Warum glaubst du dann, dass Abram hinter der Entführung steckt?«
»Wie ich schon sagte, Murat hat einen Hinweis erhalten. Anonym, am Telefon. Daraufhin hat er zwei und zwei zusammengezählt, und als er verhaftet wurde, erkannte er, dass Abram ihn reingelegt hatte. Der Kerl muss von der Entführung gewusst haben, sonst hätte er Murat nicht unter Druck setzen können.«
»Lebt der Junge noch? Hat dein Freund irgendwie in Kontakt zu den Entführern gestanden?«
Danielle zuckte wieder mit den Schultern, und ihre vollen Lippen wurden zu einem schmalen Strich.
Deleu dachte an das, was sie vorhin gesagt hatte.
Es war der Staatsanwalt. Claude Verspaille hat mich erpresst.
Auch ohne von seinem Bourbon zu nippen, hatte er einen schalen Geschmack im Mund. Gerne hätte er gewusst, wie die Sache damals gelaufen war, aber er stellte keine weiteren Fragen.
Man kann es im Nachhinein sowieso nicht mehr ändern, Deleu. Finde dich damit ab.
Er ließ die Fingerknöchel einen nach dem anderen knacken und versuchte, sich auf die jetzige Situation zu konzentrieren.
Murats Sohn gekidnappt, und Abram ist der Hauptverdächtige. Mein Gott, das ist ja unglaublich!
Er musterte Danielle verstohlen.
Sagt sie die Wahrheit? Diesmal bestimmt. Zweifellos. Was steckt dahinter? Vermutlich hat Abram gar keinen Hinweis von dem ermordeten el Hidrissi erhalten, sondern er hat Murat selbst reingelegt. Will er den Drogenhandel in Mechelen tatsächlich übernehmen? Unter dem Deckmäntelchen besserer Jugendarbeit? Oder als Integrationsmaßnahme getarnt? Wie kommt er an die Drogen, an denen wahrscheinlich das Blut von Dewolf klebt? Hat er den Commissaris umgebracht? Oder hat er ihn ermorden lassen? Um Murat vom Thron zu stoßen? Und als Unterpfand für dessen Schweigen hat er seinen Sohn gekidnappt. Warum hat er dann solche Angst? Warum hat er Angst, wenn er Murats Sohn in seiner Gewalt hat?
»Ich werde mein Bestes tun.« Es klang ein bisschen hohl, doch voll guter Absicht. »Wenn du noch irgendetwas erfährst, egal, was, dann musst du es mir sofort sagen!«
Deleu nahm eine Visitenkarte aus dem perforierten Metallhalter, der an einer Ecke seines Schreibtischs stand. Sie roch noch nach feuchter Tinte. Hundert Kärtchen, druckfrisch. Ein Jugendfreund, Geschäftsführer einer fa
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