Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer
wissen! Warum hast du das getan?«
Deleu lächelte. »Möchtest du eine Tasse Kaffee?«
Nadia reagierte ein wenig verwirrt, nickte aber nach kurzem Zögern.
Deleu kratzte sich am Hals. Er nahm zwei Plastikbecher aus der Schublade und drückte auf den Hebel der Thermoskanne. Ein saugendes Geräusch ertönte, dann ein leises Blubbern. Die Thermoskanne war leer. »Ich kann dir nichts bieten«, sagte er. »Nicht mal eine Tasse Kaffee.«
Nadia lächelte abwesend, und als sie aufsah, bemerkte sie seinen fragenden, fast flehentlichen Blick. Sie spürte seine Seelenqualen und wandte sich ab. In der Zimmerecke stand ein Riesenkarton, der nachlässig aufgeklappt war. Eine der Deckelklappen war quer eingerissen.
»Deleu« stand in dicken Buchstaben auf der Seite. Nadia zeigte darauf. »Deine Bürosachen aus Mechelen?«
Er nickte, und sein Adamsapfel hüpfte auf und nieder.
Sie lächelte, und auf ihren Wangen bildeten sich Grübchen.
»Na los, Dirk«, flüsterte sie. »Was du mir zu erzählen hast, wird mich sicherlich nicht überraschen. Es wird nichts sein, was ich mir nicht ohnehin schon gedacht habe.«
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37
C laude Verspaille befand sich auf dem Grote Markt in Mechelen, inmitten von etwa dreitausend Ausländern. Seine blassen Beine ragten aus Khaki-Shorts hervor, und um seinen dicken Bauch spannte sich ein Polohemd, dessen obere drei Knöpfe offen standen.
Er war auf Nummer sicher gegangen und hatte sich unter eine Gruppe grüner Sympathisanten gemischt. Seine abgetragenen Ledersandalen stammten aus einem Secondhandladen.
Claude Verspaille tänzelte von links nach rechts. Er amüsierte sich königlich und machte sich keine Sorgen, dass ihn seine exklusive Sonnenbrille vielleicht verraten könnte.
Wer wird in diesem Gewimmel schon auf meine Sonnenbrille achten? Nicht heute. Heute ist ein historischer Tag. Vergleichbar mit der Studentenrevolte 1968.
Wobei er damals nicht auf die Barrikaden gegangen war. Was hatte er auch schon zu gewinnen oder zu verlieren gehabt? Doch jetzt war die Situation völlig anders.
Heute bin ich mit von der Partie. Das hier ist mein Werk, vielleicht sogar mein Lebenswerk.
Rund um das Mechelner Rathaus hatte die Rijkswacht eine Sicherheitszone abgesperrt. Über zweihundertfünfzig Mann, bewaffnet mit Schlagstöcken, hielten die Stellung, und rechts und links des Rathauses warteten Wasserwerfer. Die Nationalgarde war allerdings noch nirgends zu sehen. »Mörder!«, schrie Verspaille heiser.
Eine mollige Dame mit Sommersprossen nickte ihm aufmunternd zu. Er genoss jeden Augenblick. Er nahm die Szenerie geradezu gierig in sich auf, mit einem Gefühl tiefer Befriedigung.
Die meisten Ausländer skandierten »Abram! Abram!«, und es waren nicht nur die jungen Hitzköpfe. Auch ältere Leute äußerten lauthals ihre Unzufriedenheit, einige andere hatten ihre Gesichter mit Palästinensertüchern vermummt.
»Naib! Naib! Rache für Naib!«, ertönte es aus Hunderten Kehlen. Ganz vorne flog ein Absperrgitter durch die Luft. Alle riefen den Namen von Naib Abram, der mit dem Tode rang.
Er war im Gefängnis von Mechelen vergiftet worden, wo er in Schutzhaft gesessen hatte. Man hatte ihm Strychnin unter das Essen gemengt. Abrams Frau und Kinder waren nach Frankreich geflüchtet, während er auf der Intensivstation um sein Leben kämpfte.
Das war der sprichwörtliche Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Tausende Ausländer waren auf die Straße gegangen. Wenn Johan Dewolf das noch hätte erleben können! Claude Verspaille biss sich auf die Fingerknöchel. Er war trotz allem nicht ganz zufrieden, denn Abram lebte noch, aber nur, weil er sich an dem bewussten Tag nicht wohl gefühlt und kaum Nahrung zu sich genommen hatte. Er lag bereits seit über zwölf Stunden im Koma, woraus er, wie in den Nachrichten zu hören gewesen war, wohl nie wieder erwachen würde. Sämtliche Vitalfunktionen wurden künstlich aufrechterhalten.
Die ganze Geschichte stand lang und breit in allen Zeitungen. Bels hatte keine Zeit verloren, schließlich hatte er die detaillierten Hintergrundinformationen in seinem Briefkasten gefunden. Gratis.
Claude Verspaille grinste.
Ach, Naib, auch du hättest dabei sein sollen. Endlich bist zu dem geworden, was du immer sein wolltest: ein waschechter Märtyrer, eine heilige Ikone für dein lausiges Volk.
Er schob die Sonnenbrille auf die Nase und ging mit geschlossenen Augen noch einmal alles durch.
Bis hierher ist alles glatt gelaufen. Die Partei kommt jetzt
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