Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer
dem Bauch, auf einem Sofa
. Deleu zerrte wie wild an den Handschellen. Seine Brust hob und senkte sich heftig, als er über die breite Armlehne blickte und Leder roch. Seine gefesselten Hände waren an ein Heizungsrohr gekettet.
Trockene Lippen. Durst
. Schmatzend sah er sich um, doch es fühlte sich an, als durchbohre ein Blitz sein rechtes Auge und träte aus dem linken wieder heraus.
In der hintersten Ecke des Zimmers entdeckte er die Silhouette eines Menschen, der in der Hocke saß.
Ein Mann
.
Während er mehrmals blinzelte, um ein schärferes Bild von der reglosen Gestalt zu erhalten, fiel ihm alles wieder ein.
Antwerpen. Die Kneipe. Frank und Nadia. Frank hatte Geburtstag. Diese verschwommene Gestalt, das ist Frank. Frank Tack! Der Mann, der mich vor meinem Auto niedergeschlagen hat. Der Mann, der gerade aus Einzelteilen einen Revolver zusammenbaut. Eine groteske Mag num Kaliber .44. Frank Tack! Der Verräter. Der Mörder von Dewolf, Benaoubi, Abram und … Deleu!
»Guten Morgen, Kollege. Gut geschlafen?«
Dirk Deleu antwortete nicht.
»Entschuldige bitte die Unannehmlichkeiten.« Es klang sorglos, fast fröhlich und gut gelaunt. Frank Tack stand auf, kam langsam auf das Sofa zu und setzte mit einem Klicken das letzte Teil des Revolvers ein – die Trommel. Er ließ die Waffe um den Mittelfinger kreisen und steckte sie lässig in den Gürtel.
»Hast du kein Holster?« Es klang schwach, so wie Tack ihn vermutlich auch haben wollte.
»Willst du etwas trinken?«
Deleu nickte.
»Wasser?« Tack wartete die Antwort nicht ab, sondern ging in die Küche. »Mit Aspirin? Oder willst du lieber eine Ibuprofen forte?«
Deleu schwieg und überdachte seine Lage. Er hatte nicht vor, sich ohne weiteres liquidieren zu lassen, daher reckte er sich und betrachtete seine Handgelenke, auf denen die Handschellen rote Striemen hinterlassen hatten. Er lag mit der Brust auf der Armlehne und war an eine Rohrschelle gefesselt, an der die Heizungsrohre aufgehängt waren. Deleu blickte sich um.
Er ist weggegangen
. In der Küche klappte eine Tür oder eine Schublade zu. Deleu schwollen die Adern im Nacken, als er mit aller Kraft an den Hand-schellen zog, aber die stabile Rohrschelle gab nicht nach. Als die Schmerzen bis hinauf in seine Schultern ausstrahlten, gab er auf.
Es hat keinen Sinn
. Eine übernatürliche Ruhe ergriff von ihm Besitz.
Frank Tack, ein Lächeln auf dem Gesicht, brachte ihm ein großes, hochgefülltes Whiskyglas, in dem mehrere Eiswürfel gegen den Rand stießen. Vor dem Sofa kniete er sich hin. Das kühle Eis berührte Deleus aufgesprungene Lippen, als er gierig schluckte und das Eiswasser seine Kehle hinunterrann. Er schnappte nach Luft, schmeckte ein bitteres Aroma und spuckte Tack das Wasser ins Gesicht. Der sprang zurück und wischte sich mit dem Handrücken die Wange ab. Grinsend betrachtete er den größer werdenden blauen Fleck auf seinem Jeanshemd.
»Es ist bloß Aspirin, aber wie du willst.«
Er stellte das Glas auf dem verchromten Wohnzimmertisch ab und setzte sich wie beiläufig neben seinen ehemaligen Kollegen. Als Dirk Deleu etwas sagen wollte, schnitt ihm Tack das Wort ab.
»Es ist vorbei, alles.«
»Ist es auch mit mir vorbei?«
»Tut mir leid. Das habe ich nicht gewollt.«
»Habe ich den Satz nicht schon mal irgendwo gehört?«
»Nein, das war: ›Ich habe von nichts gewusst.‹ Ich dagegen, weiß genau, was ich getan habe, und ich kenne die möglichen Konsequenzen.«
Deleu schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und verdrehte die Beine ein wenig. Er tat es möglichst unauffällig, als läge er unbequem. Er überlegte, ob er Tack mit voller Wucht ins Gesicht treten sollte, beherrschte sich jedoch. Die Aussicht, seinen Widersacher mit einem gezielten Tritt schachmatt zu setzen, war gleich null.
Ruhig bleiben, Dirk. Warte auf deine Chance. Sie wird kommen, sie muss kommen!
»Seit wann weißt du es?«
Die Stille besaß etwas Sakrales.
»Die Spritze. Das Blut mit Aids, stimmt’s? Gestern Abend. Im selben Moment habe ich es auch kapiert. Ich hab mich einfach verplappert.«
»Warum warst du in dem Fort in Walem? Was hattest du dort zu suchen?«
»Ich habe dem Kind keine Spritze gegeben, Deleu. Das sollst du wissen, merk dir das. Ich habe es am Leben gehalten.«
»Was hast du dort gemacht, Frank?«
Tack lächelte rätselhaft, stand auf und ging erneut in die Küche. Diesmal schlurfend wie ein alter Mann.
»Du bist ein Arschloch, Frank Tack. Ein Kindermörder und ein …«
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