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Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn

Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn

Titel: Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luc Deflo
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Sie biss ihn ins Ohrläppchen, küsste ihn auf die Wange – die er am Abend nicht waschen würde – küsste Wichtchen auf die Stirn und stand auf.
    »Ich bin dann mal weg.«
    »Und was ist mit deinem Tee?«, fragte Verbist verzweifelt.
    »Ich trinke normalerweise keinen Tee, nur bei Leuten, die ich gut kenne.«
    »Aber du kennst mich doch gar nicht?«, erwiderte Verbist gespielt gleichgültig.
    »Vielleicht will ich dich ja kennenlernen.«
    Sie stand auf und ging hinaus.
    Du hast vergessen, dich mit ihr zu verabreden!
    Verbist sprang auf, aber noch bevor er die Tür erreicht hatte, ging sie schon wieder auf. Chris lachte, und Verbist hielt mitten in der Bewegung inne. Starr stand er da, wie die Skulptur eines griechischen Diskuswerfers, nur weniger athletisch gebaut.
    »Hier«, sagte sie, »ehe ich es vergesse.«
    Sie winkte mit seinem Portemonnaie, und während er es schweigend annahm, sah Chris ihn eindringlich an.
    »Wo hast du es gefunden?«
    »Im Treppenhaus.«
    »Danke, ich habe gar nicht bemerkt, dass ich es verloren hatte.«
    Sie blieb stehen, und Verbist zögerte.
    »Jetzt guck schon nach, ob alles noch drin ist«, sagte Chris schließlich aufmunternd. »Du brauchst dich nicht zu schämen.«
    Unsicher öffnete er sein Portemonnaie.
    »Es war kein Geld drin«, sagte sie gelassen.
    »Nein, nur ein bisschen Kleingeld, ich stecke mein Geld nie ins Portemonnaie.«
    Mit einer raschen Bewegung zauberte Chris einen Hunderterschein hervor. Sie hielt ihn mit dem Ärmelstoff ihres weiten Pullovers fest. Dann wedelte sie mit dem Schein in der Luft herum, spürte Verbists Vorbehalte und sagte: »Nimm’s ruhig.«
    Verbist stand vor einem Dilemma.
    Außer den Kassenobligationen seiner Großmutter – seinem Vermögen – besaß er keinen roten Heller. Momentan lebte er von dem Bargeld, das er noch rasch aus dem Bankautomaten geholt hatte, ehe es zu spät war.
    Chris versuchte, ihm den Geldschein in die Hand zu drücken, aber er ballte stur die Faust zusammen.
    »Komm schon, Herman, für Willeke. Ich habe eben zweihundert Euro von meinem Großvater bekommen.«
    »Ich dachte, er ist nicht zu Hause?«
    »Nein, aber gestern war er da«, antwortete sie ironisch. »Ich brauche nur die Hand auszustrecken, schon ist sie voller Geld. Nimm’s ruhig.«
    Schließlich nahm er den Geldschein an, doch sie zupfte ihn wieder aus seinen Fingern.
    »Zu spät!«
    Während sie sich kokett umdrehte und in Richtung Treppe ging, blickte ihr Verbist noch eine ganze Weile nach.
    Herman. Wie kommt sie bloß auf meinen Namen?
    Hastig klappte er das Portemonnaie auf, in dem auf den ersten Blick nichts fehlte. Alles da, das Kleingeld, sein Personalausweis und eine Ansammlung abgegriffener Quittungen und Visitenkarten.
    Der Ausweis, natürlich, daher wusste sie, wie ich heiße. Aber es steht noch meine alte Adresse darauf. Das Foto, genau! Sie hat überall geklingelt, bis sie mich gefunden hatte. Aber warum hat sie sich so viel Mühe gegeben? Vielleicht steht sie auf mich.
    Er musterte das vergilbte und veraltete Foto. Seine Augen standen etwas zu weit auseinander, und seine Haut war von Schuppenflechte gezeichnet, damals schon. Außerdem sah seine Nase auf dem Bild noch spitzer aus, als sie von Natur aus ohnehin war.
    Er riss die Tür auf.
    »Wann sehe ich dich wieder?«
    »Bald!«, hallte ihre Antwort durchs Treppenhaus.
    Sein Herz setzte ein paar Schläge aus.
    Inzwischen stellte Wichtchen seine Fähigkeiten als frischgebackener Vater auf die Probe, denn sie hatte laut zu schreien angefangen. Er schloss die Tür und machte ihr eilig ein Fläschchen, ließ ein paar Tropfen auf sein Handgelenk fallen, brachte die Milch unter dem Wasserhahn auf die richtige Temperatur und steckte den Sauger zwischen ihre hungrigen Lippen. Sie seufzte zufrieden und trank in tiefen Zügen. Das Leben lachte ihrem strahlenden Vati zu. Nun musste er nur noch einige praktische Problemchen lösen, und dann …
    »Vati hat für Wichtchen eine Mama gefunden«, erklärte er ihr feierlich. »Vati und Mama sind nicht im gleichen Alter, aber das macht nichts. Mamas sind früher reif als Vatis, das weiß jeder. Und jeder weiß auch, dass Kinder viel glücklicher aufwachsen, wenn sie eine Mama und einen Vati haben. Über das Geld müssen wir uns ein wenig Gedanken machen, aber wenn Vatis Gedichtsammlung demnächst fertig ist, werden wir mehr als genug haben. Dann kaufen wir für Juul, unseren angeheirateten Großvater, eine weiße Taube, eine Friedenstaube. Vati kümmert sich

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