Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn
von der Spurensicherung vor der Tür des Herrenhauses in der Pareipoelstraat Nummer fünfzehn. Ein vierter sprach mit der alten Nachbarin von Jef Briels.
»Was ist los?«, fragte Deleu.
»Er ist nicht zu Hause. Anscheinend verreist.«
»Mist!«
Deleu griff zum Handy und wählte eine Nummer.
»Bosmans«, meldete sich der Untersuchungsrichter nervös.
»Briels ist nicht zu Hause. Was sollen wir tun?«
»Die Tür aufbrechen. Das Haus durchsuchen. Ruf mich später noch mal an.«
»Knackt das Schloss, Jungs«, befahl Deleu, während er sich eine weitere Halstablette in den Mund steckte.
»Ohne Durchsuchungsbeschluss?«, fragte Kollege Jokke Tormans, ein kräftiger ehemaliger Regattasegler, der von den Kriminaltechnikern manches Mal vorgeschickt wurde, wenn es eine Tür zu öffnen galt.
Wenn es schnell gehen musste.
»Wird nachgeliefert«, antwortete Deleu trocken und lächelte der alten Dame scheinheilig zu, die in gefütterten Pantoffeln und Morgenmantel im Hauseingang stehen blieb und sich an dem aufregenden Spektakel ergötzte.
Als das Schloss nachgab, schlüpfte Nadia Mendonck als Erste in den marmorgefliesten Flur hinein. Es war eiskalt im Haus; anscheinend hatte der Hausherr die Heizung abgestellt.
Durch eine Flügeltür mit geschliffenem Spiegelglas betrat Nadia das mit wenigen, aber geschmackvollen Möbeln eingerichtete Wohnzimmer.
Die Wände waren nur verputzt. Neben einem Bücherschrank, der bis an die Stuckrosetten der Decke reichte, stand eine deplaziert wirkende Aluminiumleiter. Die Wand daneben zierte ein mit Trauerflor umkränztes Porträt des verstorbenen Königs Baudouin. Die Sitzecke bestand aus einem mit Craquelé-Leder bezogenen Dreisitzer und zwei Clubsesseln im Louis-Seize-Stil. In der Ecke des großen Raums stand ein antiker Mechelener Sekretär mit geschlossener Rolllade. Nadia Mendonck betätigte den Porzellan-Lichtschalter, fluchte und eilte mit großen Schritten zu dem Sekretär.
»Könnte irgendjemand mal im Keller den Strom einschalten?«
[home]
Donnerstag, 27 . November – 8 Uhr 33
V erbist schlug die Decke beiseite und schlurfte ins Badezimmer. Der Mann im Spiegel sah ihn mit leerem Blick an. Die Flecken in seinem Gesicht deuteten auf einen Leberschaden hin, ein Leiden, das auch ihn plagte. Seine rot geäderten Augen schwammen in gelblichem Weiß.
»Du könntest Wichtchens Vater sein. Nein, du siehst zu dumm aus. Wichtchen dagegen ist klug.«
Der Mann pulte eine Kruste von seiner Unterlippe.
»Wie werde ich dich nur los?«
»Ich hasse dich!«
Verbist spuckte ins Waschbecken. Er hielt es nicht mehr aus und hieb auf sein zersplitterndes Ebenbild ein.
»Idiot! Wichtchen schläft. Alle schlafen.«
Herman Verbist rieb sich das schmerzende Handgelenk und ging ins Wohnzimmer, wo er einen Heidenschrecken bekam. Auf dem Sofa lag ein junges Mädchen, das sich mit den Fingerknöcheln die Augen rieb. Wie eine böse Fee sah sie aus. Die böse Fee, die er zusammen mit seiner Großmutter im Kino gesehen hatte. Die Fee, die seinen kleinen Pimmel hart gemacht hatte.
Seine Gesichtszüge entspannten sich, als die Erinnerung an das Jetzt in hohen, erregenden Wellen durch sein leeres Gehirn schwappte, und als er das Mädchen auf dem Sofa erkannte, lächelte er.
»Chrissie schläft jetzt auch nicht mehr«, murmelte er, während er sich an den Computer setzte und sich weigerte, weiter nachzudenken. Es hatte sowieso keinen Sinn.
Chris würgte und tappte ins Badezimmer.
Er sah sich nicht um. Er hatte Angst.
Die Toilettenspülung wurde betätigt.
Das Sofa knarrte unheilverkündend.
Chris atmete ihm aufreizend in den Nacken.
Liebste Chris,
ich gelobte, dass ich meine Kräfte dir und dem, was dir gehört, weihen würde – habe ich nicht mein Gelübde gehalten?
Mit klopfendem Herzen und strömenden Augen rufe ich gerade jetzt
die Phantome von tausend Stunden
jedes aus seinem stummen Grab:
Sie haben in traumhaft geschauten Gemächern
von beflissenem Eifer oder Liebeswonne
mit mir die missgünstige Nacht durch Wachen überwunden – sie wissen, dass niemals die Freude meine Braue aufhellte,
ohne dass sie mit der Hoffnung verbunden war, dass du diese Welt
von ihrer dunklen Sklaverei befreien würdest,
dass du – oh hehre Lieblichkeit,
alles geben würdest, was diese Worte ausdrücken können.
Für immer Dein,
Herman
»Sklaverei, soso … Der edle Dichter steht also auf SM , wie ich sehe.«
Verbist blickte sich um.
Chris trug seinen
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