Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
Schritte durch das enge Treppenhaus hallten, rannte er wie ein aufgescheuchtes Reh die Stufen hinunter. Seine Lunge brannte, als er die fünfte Etage erreichte. Rechts von ihm schwang eine Tür auf.
Eine mollige, rothaarige Frau mit einer riesigen Einkaufstasche trat in den Flur. Sie warf ihm einen Blick zu und schaute dann zurück zu ihrer Tür. Sie zögerte, schluckte hörbar, und als Van Cleynenbreughel sich in Bewegung setzte, hielt sie die Einkaufstasche schützend vor die Brust. Ihr üppiges Doppelkinn zitterte.
»Er läuft nach unten!«, schrie Deleu und stürmte in Hilde Plaetincks Wohnung.
Draußen ertönte eine Stimme durch ein Megafon: »Nicht bewegen. Wir holen Sie da runter. Lehnen Sie sich mit dem Körper auf die Dachpfannen. Nicht mehr bewegen!«
Als Deleu den Kopf durch das offene Fenster steckte und Anstalten machte, über das Fensterbrett zu klettern, ertönte die Stimme zum zweiten Mal durch das Megafon: »Halt! Nicht! Stopp! Die Dachrinne kann das zusätzliche Gewicht nicht tragen.«
Dirk Deleu blickte verzweifelt zum nächtlichen Himmel hinauf, als ob dort jeden Moment eine helfende Hand erscheinen würde. Dann schaute er zu der zitternden, aufgelösten jungen Frau, die ihn mit blutunterlaufenen Augen ansah. Während der Regen ihm ins Gesicht peitschte, erinnerte ein zischendes Geräusch ihn daran, dass zwischen seinen Lippen noch immer eine Belga hing, deren glühende Spitze ihm fast die Nase versengte. Deleu spuckte die Zigarette aus und konzentrierte sich auf die Frau, deren Finger bereits blau angelaufen waren. Er zögerte, aber als die Feuerwehrleiter in seine Richtung schwenkte – mit zwei Feuerwehrmännern, die sich bereit machten, die Frau aufzufangen –, hielt er sich am Fensterrahmen fest und verfolgte mit angehaltenem Atem die dramatische Rettungsaktion.
Die Leiter stieß gegen den Dachrand, und ein Stück einer Dachpfanne sauste in die Tiefe.
Dirk Deleu befürchtete das Schlimmste und wagte erst wieder aufzuatmen, als einer der Männer, ein kurzer, stämmiger Kerl, vorsichtig einen Fuß auf die Regenrinne plazierte und einen Arm um Hilde Plaetincks Hüfte schlang. Ein Zittern ging durch ihren gepeinigten Körper, und aus ihren Augen strahlte eine Mischung aus enormer Erleichterung und Todesangst.
»Ganz ruhig, junge Frau. Nicht bewegen. Ich hab Sie sicher im Griff. Sie brauchen keine Angst mehr zu haben.« Der Feuerwehrmann stützte sich mit der Schulter am Dach ab und hievte die Frau mit einer fließenden Bewegung über seine andere Schulter. Die Regenrinne ächzte.
Dirk Deleu stieß erleichtert die Luft aus; dann rannte er durch die Wohnung in den Hausflur. Auf dem Treppenabsatz der sechsten Etage sah er den flatternden Mantel von Pierre Vindevogel. Zwei Stufen auf einmal nehmend, lief er seinem Kollegen hinterher. »Pierre. Warte. Ich komme mit!«
Auf der Hälfte der Treppe zur fünften Etage blieb Pierre stehen und schnappte keuchend nach Luft. Deleu legte einen Arm um seine Schultern.
»Sind die Fahrstühle blockiert?«, fragte er gedämpft.
Pierre, der noch immer versuchte, wieder zu Atem zu kommen, nickte kurz. »Wir haben ihn, Dirk. Der Dreckskerl sitzt in der Falle. Komm.«
»Wo steckt er?« Deleu packte seinen Kollegen zum zweiten Mal an der Schulter. »Vorsicht, Pierre. Dieser Kerl wird bis zum Äußersten gehen. Wie sieht die Situation unten aus? Sind die Jungs vom Sonderkommando schon auf Position?«
»Keine Ahnung. Komm, wir schnappen ihn uns.«
»Wie viele Etagen hat dieses Gebäude?«
Pierre Vindevogel zuckte die Achseln, aber als er um die Ecke bog, erstarrte er mitten in der Bewegung. »Verdammt!«
Deleu sah, dass Pierre nach seinem Schulterhalfter griff, und zückte ebenfalls seine Pistole.
»Runter mit der Waffe, oder ich schneide ihr die Kehle durch!«
Während Pierre zurückwich, schlich Deleu langsam die Treppe zur fünften Etage hinunter, den Rücken gegen die Wand gepresst. Vorsichtig beugte er sich vor, überprüfte rasch die Trommel seines Revolvers und schloss sie geräuschlos. Als er Pierres Stimme hörte, hielt er den Atem an.
»Ganz ruhig, mein Freund.« Es klang entschlossen und selbstsicher. Deleu hörte die zögernden Schritte seines Kollegen.
Ist er bewaffnet?
, schoss es ihm durch den Kopf. Der Schweiß brach ihm aus, und es kostete ihn enorme Beherrschung, nicht mit gezückter Waffe vorzustürmen.
»Weg mit dem Revolver.«
Pierre Vindevogel zögerte. Seine Muskeln verkrampften sich, als das scharfe Fleischermesser in den
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