Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
sog die Luft ein, ließ die Gerüche tief in seine Lungen dringen und glaubte, sogar einen Hauch von Nadias Parfüm wahrzunehmen. Oder bildete er sich das nur ein?
Hastig lief er zum Ende des Flurs, wo eine Frau in einem verblichenen Arbeitskittel sich über einen Putzeimer beugte und ein Scheuertuch auswrang. Zwischen ihren Lippen baumelte eine Zigarette.
»Äh, entschuldigen Sie bitte …?«
Die Putzfrau drehte sich um und zog das Kopftuch, das ihr über die Augen gerutscht war, nach hinten. Deleu bemerkte, dass sie derbe, rauhe Hände hatte, mit tiefen Furchen an den Fingerspitzen. Ihre Nägel kratzten über den groben Kittelstoff, als sie sich die Hüfte rieb.
»Ja?«
»Ich bin auf der Suche nach der Praxis von Dr.Beherman. Wissen Sie zufällig …?«
»Die ist ein Stockwerk höher. Aber der Doktor ist nicht da.« Damit drehte sie sich wieder um, wobei der Aschekegel in die schäumende Seifenlauge fiel. Offensichtlich betrachtete sie das Gespräch als beendet, denn sie nahm den Eimer und schlurfte auf die andere Seite des Flurs.
»Äh … ich hätte da noch eine Frage …«
Die Frau drehte sich um und musterte Deleu müde. »Mann, ich hab’s doch schon gesagt: Er ist nicht da.« Sie stellte den Eimer ab und schob sich das Kopftuch in den Nacken. »Und wenn ich Sie wär, würd ich mir ’nen anderen Psychiater suchen. Der hier ist nie da, wenn man ihn braucht. Wie oft hab ich schon Leute wegschicken müssen, das ist echt nicht mehr normal. Einen Schlüssel zu seinem Büro gibt er mir nicht, doch Sekretärin darf ich für ihn spielen. Aber ich muss auch meine Miete bezahlen. Auf den kann man sich nicht verlassen. Ich sag’s Ihnen. Überhaupt nicht. Das macht mich noch ganz kirre.« Sie pflückte die Zigarette von ihren Lippen, die bis auf den Filter heruntergebrannt war, drehte den Stummel unentschlossen in der Hand und schnippte ihn schließlich in den Putzeimer.
Als Deleu eine weitere Frage stellen wollte, wandte sie sich ab und schlurfte durch den Flur. Doch dann hob sie einen Finger so ruckartig in die Luft, dass Seifenlauge aus dem Eimer schwappte. »Wenn Sie mir nicht glauben, sehen Sie doch selbst nach. Und wischen Sie sich die Füße auf der Matte ab – die Etage ist gerade erst frisch geputzt.«
Langsam stieg Deleu die Wendeltreppe hinauf. Er tastete in seinem Sakko nach seinem Mobiltelefon, zögerte dann aber. Vor der Tür mit dem Namensschild »J. Beherman – Psychotherapeut« blieb er schwer atmend stehen.
Das Schloss sprang mit einem lauten Klick auf. Deleu steckte den Dietrich wieder in die Hosentasche. Diese Vorgehensweise war alles andere als offiziell, und Jos Bosmans würde einen Anfall kriegen, wenn er davon erfuhr.
Plötzlich glaubte er, ein Poltern im Flur zu hören. Die Treppe knarrte, und irgendwo ging eine Tür auf. Dieses Mal zögerte er nicht länger, sondern schlüpfte lautlos in die Praxis.
Der Raum lag im Dunkeln. Die Jalousien waren herabgelassen. Während sich seine Augen langsam an das Dämmerlicht gewöhnten, konnte Deleu allmählich die Umrisse eines Schranks und eines großen Schreibtischs erkennen. Die Wohnung war nur spärlich möbliert. Ein Aktenschrank, ein Schreibtisch, eine Liege und drei Stühle: ein Bürostuhl und zwei schlichte Küchenstühle.
Deleu blieb stehen. An der gegenüberliegenden Wand erkannte er einen großen schwarzen Fleck.
Ein Gemälde.
Deleu fühlte sich unbehaglich. Schon wieder diese seltsame Mischung aus Medikamenten und Parfüm.
Nadia.
Der Kripobeamte streckte einen Arm vor und tastete sich zum fluoreszierenden Lichtschalter neben der Tür. Als er das Licht einschaltete, schienen ihm drei kräftige Halogenstrahler direkt ins Gesicht. Sofort schirmte Deleu seine Augen ab, ging tastend ein paar Schritte, fluchte und lief um den Schreibtisch herum. Er rollte den Klubsessel beiseite und schaute unter den Tisch, aber er konnte keinen Dimmer entdecken. Die beiden Stühle vor dem Schreibtisch waren in grelles Licht getaucht.
Hat Nadia dort gesessen? Auf einem dieser Stühle. Total geblendet. Vielleicht scheinen einem die Spots ja nur dann in die Augen, wenn man zur Tür geht …
Deleu packte die Rückenlehne des linken Stuhls und versuchte, sich seine Kollegin in dieser Umgebung vorzustellen. Das grelle, weiße Licht, das ihren Kopf umgab wie ein Heiligenschein. Doch es gelang ihm nicht, und nach einer Weile sah er nur noch tanzende rote Flecken.
Nachdenklich rieb er sich übers Kinn und schloss die Augen. Und da war sie: Nadia
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