Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
gut.
Dirk. Hey … Kopf hoch. Machen wir das Ganze zu einem Spielchen. Für dich war das Leben doch immer schon ein Scheißspiel.
Hast du noch mehr Kinder? Oder ist dein Samen schon vertrocknet? Oder hast du eingesehen, dass du etwas falsch gemacht hast? Suchst du Vergebung … Verzeih mir, wenn ich lache.
Es tut mir leid, Dirk. Es ist zu spät.
»Nadiaaa … wo bist du …« Hörst du das, Dirk? Erkennst du den Klang meiner Stimme?
Der große, böse Wolf.
Nicht … tss … schade.
Wer ist der Hirte, Dirk? Wer ist der Hirte, und wer ist der böse Wolf?
Du wirst von mir hören.
Oh, und ehe ich’s vergesse: Schöne Grüße an Meneer Bosmans.
Das Blatt Papier zitterte, als der Untersuchungsrichter es mit der Pinzette umdrehte. Nichts … auf der Rückseite stand nichts mehr.
»Bringen Sie das Ding zur Spurensicherung. Und besorgen Sie mir eine Kopie, Pierre.«
Als Pierre Vindevogel das Büro verließ, gähnte Bosmans, kratzte sich am Oberschenkel, stand auf und wanderte rastlos auf und ab. »Du kennst ihn, Dirk.«
Deleu nickte und ließ den Kopf in die Hände sinken, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt. »Nadia. Ich muss Nadia … Wie kann das sein?« Hilflos schaute er zu Bosmans.
Zu Bosmans – der sich fragte, ob es sinnvoll war, Barbaras spurloses Verschwinden vorläufig zu verschweigen. Den Anruf hatte er an diesem Morgen erhalten. Von Roger Wittewrongel, Deleus Schwiegervater. Seine Tochter war nicht nach Hause gekommen. Sie war mit Charlotte im Kinderwagen in Mechelen einkaufen gewesen. Bosmans hatte sofort Verstärkung angefordert. Staatsanwalt Bauwens hatte fünfzehn Beamte der Mobilen Einheit aus Antwerpen zusammengetrommelt. Diese Truppe hatte sich direkt an die Arbeit gemacht und versucht, jeden von Barbaras Schritten nachzuvollziehen. Bisher noch ohne Erfolg. Bosmans betrachtete seinen Freund und schluckte.
Deleu schaute auf. Sein Gesicht war kreidebleich wie ein Stück Pergament.
»Geh nach Hause, Dirk. Versuch zu schlafen. Im Moment kannst du nichts tun. Jedenfalls nichts Konkretes. Ich weiß, dass du wahrscheinlich nicht schlafen kannst, aber das macht nichts. Geh trotzdem nach Hause und versuch wenigstens, ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Vielleicht hast du dann ja irgendeine Idee. Aber grüble nicht zu lange«, drängte Bosmans.
Deleu sah seinen Vorgesetzten fast flehentlich an. Traurig und unglücklich wie ein Schuljunge, der vor einem Stapel Bücher hockt und begreift, dass er zu müde ist, um noch irgendetwas zu lernen.
Plötzlich ging die Tür auf, und Marc Vanderkelen, Leiter der Spurensicherung, kam, ohne anzuklopfen, herein. Er schaute Deleu an, dessen Augen einen kurzen Moment aufleuchteten, aber Vanderkelen schwieg. Deleu musterte den Kollegen von Kopf bis Fuß – Vanderkelen trug Khakikleidung und Lederstiefel. Doch als Bosmans’ Stuhl knarrte, wandte Deleu sich um.
»Was ist los? Was habt ihr herausgefunden?«
»Nichts. Noch nichts«, erwiderte Bosmans, während er seinen Lodenmantel überstreifte und sich den Wollschal um den Hals schlang. »Geh nach Hause. Soll ich dir ein Taxi rufen?«
Deleu schüttelte den Kopf und stand entschlossen auf. »Ich komme mit.«
Jos Bosmans griff sich an die Stirn und seufzte. Dann warf er Vanderkelen einen verärgerten Blick zu, der jedoch nur die Achseln zuckte. »Ich wusste es. Ich hab’s, verdammt noch mal, gewusst. Geh nach Hause, Dirk. Wenn irgendetwas ist, ruf ich dich sofort an. Versprochen.«
»Aber …«
»Das ist ein Befehl, Kommissar Deleu.« Damit wirbelte Bosmans herum, marschierte zur Tür und packte Vanderkelen am Arm. »Komm, Marc, wir müssen los.« An der Tür zögerte er einen Moment und drehte sich dann doch noch einmal um.
»Ist sie ermordet worden? Ist Nadia tot, Jos?«
Bosmans senkte den Blick. »Ich weiß es nicht. Geh nach Hause, Dirk.«
Deleu schaute auf, sah ihn mit leeren Augen an. Sein starrer Blick jagte Bosmans einen Schauer über den Rücken.
»Es geht nicht um diese jungen Frauen, Jos. Nicht mehr. Es geht um uns. Uns alle. Um mich, dich, Nadia, Barbara, Pierre, Walter. Um uns alle.« Deleu starrte an die Decke, und sein mattes Lächeln stand in schroffem Gegensatz zu seinen folgenden Worten: »Wer hasst uns so sehr? Wer?« Plötzlich suchte er Bosmans’ Blick, und in seinen eigenen Augen lag eine abgrundtiefe Angst. »Maud. Und die Kinder. Sei vorsichtig, Jos. Pass auf dich auf. Er liegt auf der Lauer. Irgendjemand lauert uns allen auf. Wie schleichendes
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