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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Kornraden umzingelte und vom Mutterkorn befallene Roggenfeld überzog; damals, als sich der Schaub darin verbarg und sich zur Blutauffrischung Stroh einverleibte; als das Brandkorn, das niederliegende Getreide, und noch dieses stellenweise nur sehr schütter, von der Sonnenglut aufgezehrt wurde; in dem Herbst, als auch das Kraut nur hochschoß und sich nicht einmal zu einem einzigen Kopf runden wollte, als der Unwille wuchs, weil alles darauf hinwies, daß die Ernte verloren war, obwohl der Frühling nichts zu wünschen ließ; in jenem Herbst, als die Zaunpflöcke im Mondlicht morschig wurden und das Vieh durchging, als wäre die Koppel gar nicht da, und der Hirte, Boštjan, den Haselstock umklammernd, das Rädchen der Petroleumlampe mit Schaudern noch immer in den Fingern spürte, schwerer als ein Mühlrad, war doch der Abdruck seiner Zacken immer noch nicht ganz aus der Haut verschwunden, weil sich das Rädchen gegen Ende auch mit letzter Kraft nicht weiterdrehen ließ, so daß der Schaub sich dem Kopfpolster der Großmutter ungehindert bis auf Reichweite nähern konnte, worauf die Sense in die Alte fuhr und niemand
mehr die Schneide zügeln konnte und nichts mehr da war, um die Klinge aufzuhalten; als das Haus bereits in tiefere Dimensionen sank und sich das Geröll, die Zeiten überholend, hermetisch abschloß, damit von dort unten nichts mehr ins Freie käme, und noch der Vater, als er in dieselbe Zeit zurückkehrte, spät kam, doch rechtzeitig, ehe die Häuser im Dorf begannen, die Kinder von Hand zu Hand zu reichen – in jenem Herbst verließen sie das Holzhaus und zogen auf den Boden hinunter. 
    Der Vater hatte als Soldat nichts, was ihn mit Stolz erfüllen konnte; für nichts hatte er den Kopf hingehalten, weiß der Teufel, weshalb er sich in den Dreck geworfen, für falsche Ziele gehungert und gefroren hatte, selbst Teil des Tobens und Mordens geworden war, das ihm die Teilnahme übel vergalt: Mit aller Gewalt hatte es gerade seine eigenen Leute getroffen und keinen einzigen im Haus verschont, die Kriegszeit hatte die Dörfler um den Verstand gebracht und ihre ganze Kläglichkeit und Kümmerlichkeit zutage gefördert, die schlimmsten Kräfte freigesetzt. Er hatte nichts, worauf er stolz sein konnte, als er dem Zug entstieg und sich auf den Heimweg machte. In eine veränderte Umgebung war er zurückgekommen, die in keiner Hinsicht mehr jener glich, welche er verlassen hatte, als er einberufen wurde. Der Krieg hatte Spuren an ihm hinterlassen, doch er war lebend heimgekehrt, er zog sich ins Schweigen zurück und verlangte dies auch von den anderen, ging an die Arbeit und legte all seine Verbitterung in den Umgang mit dem Werkzeug. Er machte sich auf die Suche nach einer neuen Frau, und als er sie so weit hatte, daß sie ihm ihr Wort gab, nagelte er die Hauseingänge und alle Luken zu, öffnete sperrangelweit die Stalltür, den Hühnerkobel und den Schweinestall, damit sich
die Dünste und der Aasgestank verflüchtigten und auch die entflohenen Tiere, sollten sie doch noch heimfinden, sich irgendwo unterstellen oder wenigstens im Warmen krepieren konnten. Sie zogen in ein Holzhaus unten im Tal, das am Straßenrand lehnte. Für Boštjan war es nicht leicht, sich darin heimisch zu fühlen.
    Die ersten Nächte im neuen Haus wollen kein Ende nehmen, ziehen sich vom Unendlichen ins Grenzenlose, und die Tage kommen außer Schritt und Tritt: kaum lassen sie die Morgendämmerung hinter sich, schon drängt es sie in die Nacht zurück. Kann man sich irgendwann daran gewöhnen? Auf den Fußböden haben die Vorgänger Myriaden von Bewegungen hinterlassen, die durch kein Wasser beseitigt werden können; schwarze Flecken haben sich in den Ecken festgesetzt, Schweratmigkeit steckt in den Rissen, ein lauter Schlaf saust durch den Raum. Einmal krächzt ein Brett, dann regt es sich unter dem Verputz, einmal kracht es in der Decke, dann ächzt es im Türschloß; dort rieselt es vom Balken herunter, Mehl staubt aus einer Ritze, auf einer Wand zeichnet sich ein Schatten ab und auf der anderen die Fratze des Vorgängers. Boštjan wünscht sich den prickelnden Schauder aus der letzten Nacht der Großmutter zurück, nicht einmal beim höhnischen Gelächter des Schaubs hatte er solch ein Grauen empfunden. Offensichtlich verwünschen die früheren Bewohner ihr Heim und suchen sich mit aller Macht der Einzügler zu erwehren. Auf Schritt und Tritt machen sie sich bemerkbar, flitzen von einem Ort zum anderen, ständig öffnen sie die

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