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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wandert nach und nach ab, wie lang ist es schon her, seit sie alle weggezogen sind, vor der Zeit der Vater als Soldat, in der Zeit die Mutter, nach der Zeit die Großmutter, mit dem Quersack und dem Haselstock. Von Tag zu Tag werden die Gerüche im Haus schwächer und von Nacht zu Nacht die Stimmen leiser, die Geräusche verlieren sich, die kindliche Ausgelassenheit schwindet und versiegt. Mit jeder Dämmerung wird das Herumstehen im Haus dünner, eine lähmende Trauer bemächtigt sich der Hinterbliebenen, schnürt die Kehle zu und verklingt im Gehör, mit jedem Morgengrauen läßt die Munterkeit nach, nehmen die Lebensgeister ab und verharren schließlich im Erinnern: Nie zuvor hatte Boštjan so deutlich das Knarren der Bodenbretter vernommen, jetzt, wo sie nicht mehr knarren, nimmt er sie wahr; und wenn die Mutter für unterwegs etwas aus der Truhe geholt hatte, war ihm der Klageton des schweren Deckels nicht aufgefallen, jetzt nimmt er ihn wahr; der Mutter, wenn sie sich in der Küche vor dem Herd bewegte, hatte er nicht nachgeblickt, auch dem Patschengeschlurfe der Großmutter auf dem Fußboden und dem Tappen ihres Stocks hatte er nicht nachgelauscht, jetzt, wo das alles verstummt ist, verfolgt er es, hört er es, sieht er es. Er war den dreien nicht nachgelaufen, als sie im Gänsemarsch, die Mutter in der Mitte, den Weg am Stall vorbei einschlugen, sondern war auf der Bank hinter dem Küchentisch geblieben und hatte sich daran festgeklammert, jetzt
läuft er immer wieder auf den Hügel und schaut nach ihnen aus, wie sie am Rand draußen verschwinden und wie sie sich dem Hohlweg nähern, er horcht ihren verklungenen Schritten nach und spitzt die Ohren für die herankommenden, längst schon hätte die Mutter aus dem Markt zurück sein müssen, vielleicht steht sie bereits auf der Schwelle und öffnet die Tür. Boštjan glaubt, daß sie zurückkommt. Doch es ist kein Mensch in der Nähe, die Räume sind leer, die drückende Stille hängt ihre Netze aus. Der Sitzplatz hinter dem Tisch ist kalt geworden, durchzogen von Beklommenheit, in der Ecke steht einsam der Ofen, den die Kinder einmal so überheizt hatten, daß er fast explodiert wäre, aber auch das hätte letztlich nichts geändert. Nur in den Felsen draußen sägt der Wind wie eh und je, hinter dem Dickicht verrauscht der Bach, die Bäume schweigen, niemand mehr, der zwischen den Ästen herumklettert, auch das Muhen im Stall hat aufgehört. Was für eine lächerliche Festung ist dieses Haus, das die Gendarmen nicht aufhalten konnte, das seine Bewohner nicht schützen konnte und jetzt auch für die Kinder nichts übrig hat! Auch sie lehnt es ab, erträgt ihre Flausen nicht länger. Es wird Zeit wegzugehen, hier ist kein Bleiben mehr. Aber wohin? Auf den Berg hinauf zum Bauern, wo die Mutter tagwerkte, auf die Hube unterhalb von St. Lenart, wo er das Vieh hütete, oder lieber ihr nach in den Markt hinunter?
    Zu zweit machen sie sich auf den Weg durch Tesen hinunter zum Talboden. Boštjan hält die Hand des Bruders fest, der zum ersten Mal durch den bedrohlichen Hohlweg geht. Vorsichtig schlüpfen sie an Hindernissen vorbei, rutschen über den unberechenbaren Steilhang, wo das Knirschen der Schlittenkufen die Muskeln und Sehnen zu doppelter Anstrengung treibt
oder wo, umgekehrt, auf dem morastigen Boden die Kräfte urplötzlich dem Körper entgleiten und man mit dem Fuß im Schlamm steckt. Auf dem flachen Abschnitt trippelt der Bruder tapfer allein. Wohin aber nun, ihr beiden Späher auf dem Erkundungsweg, nach rechts zurück auf die andere Seite des Berges oder geradeaus weiter? Wohin, die ihr friert und ins Warme fliegen möchtet, aber nicht wißt, wo es nach Süden geht? Da die Straße flach ist und es so lustig unter dem Schuhwerk klappert, bleiben sie auf ihr und überlassen sich den Freuden der Ebene, leicht sind die Schritte, denn ohne irgendwas sind sie unterwegs. Hier ging er mit der Großmutter, als sie sich gegen die Einschulung wehrten, da begleitete er einst den Vater bei seinen Verrichtungen, auf dieser Straße trieben die Gendarmen die Mutter, weil sie sie auf dem Posten haben wollten, also sind sie auf dem richtigen Weg. Sie kommen in den Markt, doch da sind fremde Leute, die noch nie die beiden gesehen haben und die noch keiner der beiden gesehen hat. Boštjan kennt den Schmied, zu dem der Vater einmal einen Zappin zum Spitzen gebracht hatte, und auch die Blechdose hatte der ihm mit Wagenschmiere angefüllt, heute beschlägt er neben der Straße

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