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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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ein Pferd, das ein Hufeisen verloren hat. Haus drängt sich an Haus, unten heben sie sich in den Grautönen und an den Ecken voneinander ab, oben ragen einige über die anderen hinaus; die Wände haben große Fenster, zumeist größere als das Elternhaus, alle ebenerdigen Öffnungen sind vergittert, mächtige Wehrtore schrecken Eindringlinge schon von weitem ab. Die Menschen bewegen sich in alle Richtungen, jeder geht für sich allein und irgendwie gesondert umher, höchstens daß zwei einmal kurz stehenbleiben für ein paar Worte, verstohlen durch die Kiefer gepreßt, als würden sie unterderhand weitergereicht oder heim
lich vor sich hin gehaucht, und schon zieht es sie eilig fort. Die beiden Verlorenen, die von niemandem gesucht und von niemandem vermißt werden, die lächerlichen Kundschafter, ohne Ziel in den Tag hinein unterwegs, daß selbst Gott nicht weiß, was noch kommt und wohin es sie verschlägt; die falschen Kinder zur falschen Zeit am falschen Ort, allein unter fremden Erwachsenen, erwachsen unter lauter Fremden, sie hängen sich an diese Geschäftigen, die kein Hehl daraus machen, daß sie ihnen im Weg sind, solche wanderlustigen Kinder wie diese beiden sollte man ordentlich an die Hand nehmen. Die Frauen gehen in Schwarz, Männer sind nur wenige, meist ältliche, zu sehen, Kinder keine. Sie heften sich jemandem an die Fersen, folgen ihm aus der Distanz, bis er in einem Eingang verschwindet, sich hinter eine Ecke zurückzieht; manchmal ist es, als zöge sie eine Fußgängerin, ein Fußgänger geradezu an, doch die Ähnlichkeit verfliegt, je näher sie kommen; sie möchten sich verirren und gefunden werden, möchten selbst finden, steigen bloß herum, greisenhaft schlurfend, laufen nirgends los, schnellen nicht einmal vor der Bäckerei hoch, stehen einfach da, die Verkümmerung kriecht ihnen in die Beine, der Markt läßt sie altern. Im Weitergehen klappern sie die Seitenstraßen ab, gehen von Haus zu Haus, von Fenster zu Fenster, von Festung zu Festung, stehen immer wieder auf dem Marktplatz herum, drehen sich auf der Stelle, wandern auf der einen Straßenseite hinunter, auf der anderen hinauf und dann wieder zurück, starren auf die wenigen dort hingetanen Sachen. Bei der Bäckerei halten sie jedesmal an, weil es auf die Straße heraus nach Brot duftet, wenn jemand hineingeht und es über der Ladentür klingelt, schauen durch die Scheibe und können sich von der Auslage nicht losreißen, obwohl gar nichts Eßbares drinnen liegt,
nur ein aufgemalter Handkorb mit Brot. Vom Kirchturm schlägt es Mittag, als sie sich auf die Bank unter der Kastanie setzen. 
    Wie ihr Blick auf den Gendarmen Ugav fällt, streift sie ein Kälteschauer, sie spüren einen Klumpen im Hals, an dem sie einige Zeit würgen, dann wird ihre Aufmerksamkeit von den Uniformabzeichen angezogen. Sie überwinden die Angst, zerdrücken den Klumpen im Mund und fassen Mut, weil ihnen unverhofft die rettende Eingebung kommt. Das Gesicht des Gendarmen kennen sie, sie haben es seit dem letzten Mal im Gedächtnis behalten. Ugav spaziert durch den Markt, er ist diesmal ganz anders gekleidet, nicht mehr in Zivil, starr lauert sein Blick unter der Kopfbedeckung, die keine Ähnlichkeit mit dem Hut des Vaters hat; er hält die Hände auf dem Rücken verschränkt, an seinem Gürtel hängt die Waffe. Boštjan hat sich dieses eiserne Anhängsel an jenem Tag, als es noch verdeckt war, gut angeschaut und erkennt auch die im Kreuz zum Zugriff bereiten Hände wieder. Trotzdem ist es ein Glück, daß sie ihn treffen, denn er ist der einzige, der um die Angelegenheit weiß und auflösen könnte, was er eingefädelt, gutmachen, was er ihnen angetan hat. Er ist ein Mitwisser, die Gelegenheit ist günstig. Ugav ist auf dem Kontrollgang durch den Ort, er ist allein, sein Komplize umkreist weiß Gott wo ein Haus, pflügt sich durch irgendein Stroh, hat die zwei unter dem Kastanienbaum noch nicht gesichtet, die Zeichen stehen gut. An dem Tag, als er die Mutter holen kam, schien er freundlich, obgleich gebieterisch, seine Bewegungen ließen zunächst nichts Schlimmes ahnen, er sprach laut, aber ruhig, erst als sich bei der Mutter ein Widerstand regte und auch in ihren Worten bemerkbar machte, hob er die Stimme und verstärkte den Schritt, worauf ein deutlicheres Stöhnen durch die Bodenbretter ging.
Boštjan kennt dieses Stöhnen der Dielen, er hatte es bereits vernommen, als es sich in ihm erst zu sammeln, ein Widerstand sich erst zu bilden begann, die Mutter

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