Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
Hauses gut versteckt, wo sich ihr Geruch bald zerstreut und verdünnt, sie sind zu gut verborgen, als daß der Wind ihre Spur dem Schaub hinterbringen könnte. Aber der Ball wird draufgehen, der ist verloren und wird nicht alt werden, schon ertastet ihn der Schaub und stochert ihn mit seinen Strohfingern unter dem Bett hervor. Da trampelt Boštjan mit den Füßen los und schreit, daß die Stare beim Nachbarn zusammenschwärmen. Er schreit, was die Kehle hergibt, zappelt mit den Beinen und röchelt aus allen Kräften, wirft sich auf den Boden, preßt das Gesicht auf die Bretter, schlägt mit den Fäusten umher, schreit erbärmlich. Gewimmer und Geschrei durchdringen einander, folgen aufeinander und verstärken sich gegenseitig. Er kann sich nicht erinnern, wie lange dieses gurgelzerreißende Schreien anhält, er ist ganz heiser, und die Stimme versagt ihm, als in der Tür Justa erscheint, eine ältere Frau aus einem Haus in der Nähe, leicht hinkend und krumm, weil sie in der Jugend zu schnell von der Leiter herunten war und sich das Kreuz verrenkte. Einst hatte sie ihm die Röteln besprochen, und einige Male waren sie gemeinsam auf Tagwerk bei einem Bauern und gingen bei der Getreideernte hinter den Mähern, sie las die geschnittenen Ähren zusammen, band sie, während neben ihr gemäht wurde, und er nahm die Garben auf. Sie hockt neben ihm am Boden, die Hand, die über sein Haar streicht, ist rauh. Sie tröstet und beruhigt ihn, Boštjan umfaßt ihren alt gewordenen Kopf und wischt sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Nur schwer und erst nach einiger Zeit gelingt es ihr, sich von ihm zu lösen. Justa rettete den Ball, bevor der Schaub
ihn zerfetzen konnte, ohne auch nur zu ahnen, daß sie ihn rettete, und ohne zu bemerken, welch ein Bündel Stroh dem Schaub nachstob und wie schnell die Umrisse sich hinter ihm verwischten.

    L ina hat sich in Boštjans Gedächtnis von Kindheit an eingeschrieben, nicht erst seit damals, als sie einen Teil des Weges gemeinsam gingen, weil es sich so ergab. Er erinnert sich, wie sie beim Wasser, barfuß und barhaupt, sogar ihr Haupt schüchtern zu Boden neigt. Als einmal eine Wettersegenprozession nach St. Lenart ins Gebirge verkündet wurde, anfangs, als seine Mutter und die Großmutter auch noch da waren, kam sie mit ihrer Mutter an seinem früheren Wohnhaus vorbei. Sie gefiel ihm verdammt gut, mit ihrem großen Kleid, in dem sie ein wenig verloren wirkte. Es war ihr anzusehen, daß sie der Weg ermüdet hatte, seit dem Morgen waren sie auf den Beinen, zuerst von dem einen Berg ins Tal hinab, dann auf den nächsten Berg hinauf. An die eigenen Hänge gewöhnt, nicht jedoch an einen so langen und steilen Weg, hatte sie ihre Kräfte überschätzt, vielleicht war ihr diese Wallfahrt von ihrer Mutter gegen ihren Willen auferlegt worden, um sie aufzuwerten und um durch die Teilnahme des unschuldigen Kindes mehr zu erreichen, mehr herauszuholen, da sie mit Schmerzen und Anstrengungen verbunden war, mit Schwielen und blutigen Füßen, und ihnen noch tagelang alles weh tun würde. In der Früh, vor dem Abstieg von dem einen und dem Aufstieg auf den anderen Berg, hatten sie das vorgeschriebene Reinigungsritual verrichtet, sich an der Quelle gewaschen und gereinigt, denn St. Lenart versprach Erhörung nur den körperlich und seelisch Reinen, nur denen, die litten und ihre Schmerzen pflegten. Beim Aufstieg
jetzt, nicht ganz auf halbem Wege, waren sie an Boštjans Trog stehengeblieben, um zu trinken und sich mit dem Quellwasser zu erfrischen. Lina, die ihre Beine nicht mehr spürte, hatte ihr Kleid über die Knie hinaufgezogen, sich die Schuhe abgestreift und kühlte ihre Füße im Wasser. Boštjan war mit einer Schale herbeigelaufen, noch ehe sie den Mund an die Rinne gesetzt hatte. In dieser Zeit und in Gegenden, wo das ganze Jahr über nicht mehr vorfiel, als daß ein paar bergauf wohnende Nachbarsleute vorbeifuhren, wenn sie im Markt Salz und Mehl fassen wollten, oder wo ab und zu ein Fremder vorbeikam und zwangsläufig hereinschaute, weil ihn die Kaprizen der Einschichtbewohner und der Eigensinn der Einsamkeit interessierten, oder ein Kranker auf einem Karren vorbeigebracht wurde, der dann nicht an der Krankheit starb, an einem Gewächs im Kopf, sondern weil es ihm bereits auf dem Weg zum Arzt die Seele aus dem Leib gebeutelt hatte – in so einer Gegend war jeder, der daherkam, noch ein Ereignis, das alle aus dem Haus lockte. Später, zu Ugavs Zeiten, verkehrte sich die

Weitere Kostenlose Bücher