Bostjans Flug - Roman
teilhaftigen Verleumderinnen und auserwählten Seelenschleicher, in Liebesdingen katholisch verklemmt und geschädigt, erkannten, daß der Hungerleider seinen diebischen Blick auf das Mädchen geworfen hatte. Nicht einmal Boštjans Äußeres, als er sich gegen die Bekleidungsvorschriften versündigte, öffnete den Hütern der Moral die Augen. Geputzt und geschniegelt, feiertäglich gekleidet erschien er auf der Straße, auch werktags im Sonntagsanzug und auch bei profanen Tätigkeiten im Kirchengewand, was allerdings nicht verwunderlich war, weil nur dieses sich erfolgreich der Flicken erwehrte. Jedenfalls konnte er sich Lina nicht im Hausgewand nähern, bei dem es nur eine Frage der Zeit war, wann es vom Körper abfallen, an einer Leitersprosse hängenbleiben, durch einen Ast von der Haut gezogen oder sich in der Sonne von selbst auflösen würde. Boštjan nahm sich die Freiheit und brach
te die Grundpfeiler der Tesener Bekleidungsordnung ins Wanken, durchbrach, zwar spät, aber doch, die eherne dreifaltige Einteilung in Kirchen-, Schul- und Hausgewänder, wobei die letzteren zwei sich von den ersten durch die zunehmende Dichte der aufgenähten Flicken und Flecken abhoben. Etwas mußte verkehrt sein im Dorfe, irgend etwas mußte sie durcheinandergebracht haben, die Spioninnen, daß sie so schmählich versagt hatten und sein Schwärmen um Lina allen verborgen geblieben war! Nicht einmal die Kunde von dem Tag, als sie ihn durch glücklichen Zufall leiblich und wahrhaftig zum alten Haus begleitete, hatte sich herumgesprochen, auf dem ganzen Weg waren sie niemandem begegnet, nur eine Stunde früher oder später wäre es für sie vielleicht ganz anders ausgegangen.
Nach jenem zufälligen und allzu kurzen, unauslöschlich in die Netzhaut eingebrannten gemeinsamen Weg trennte er sich mit einem Unbehagen von ihr, die ihn allein beim Haus zurückließ und ihrem Auftrag nachging. Verlegen befreite er sich aus einem unterdrückten Beben, nicht ahnend, wie plötzlich und wie restlos das Brennen in Schmerz übergehen würde. Nicht einmal zwei Tage später war es mit der Ruhe vorbei, es strömte heraus und kochte über. Bis Sonntag ist es endlos lang und kaum auszuhalten, Boštjan zählt die Stunden, halbiert sie, doch die Zeit will nicht vergehen. Zwei Möglichkeiten gibt es: entweder er sieht Lina wieder, oder er stirbt. Gegen Abend schleicht er sich von daheim fort und nimmt die Abkürzung über den Gupf. Im Wald, wo er sich in den ersten Tagen verirrt hatte, weicht er nicht vom Steig ab. Der Wald mit seiner Macht, ähnlich wie die Macht der Nacht, steckt ihm noch in den Knochen. Einmal war es ihm passiert, daß er die Orientierung verlor, als er den Steig verließ, und nicht mehr heimfand. Es zog ihn im Kreis
herum, er hatte panische Angst, auf Abwege zu geraten und sich ganz zu verirren. Erschrocken lief er in eine Richtung weiter und stellte fest, daß sie nicht aus dem Wald hinausführte, er wandte sich in die andere Richtung, tappte am Gupf umher und stieß schließlich auf einen Weg, der sich beiderseits zwischen den Bäumen verlor. Was nun, soll er sich hinsetzen und warten, ob jemand vorbeikommt, soll er sich ins Moos legen und hoffen, daß die Verwirrtheit von allein vergeht, die Wirrnis endet und sich alles aufklärt? Es half auch nichts, daß er den höchsten Baum erstieg und Ausschau hielt, der Blick vom Wipfel löste die Verwirrung nicht, Boštjan fand den Weg aus dem Wald nicht; in dieser Kopflosigkeit standen die Häuser alle verkehrt, die Gebäude auf den Höfen waren umgestellt, die Einzelgehöfte weit außerhalb des Dorfes, ein noch nie gesehener Bach floß einen unbekannten Berg entlang, ehedem flache grüne Flecken wurden höckrig, die Sonne zeigte ihm die lange Nase. Heute folgt er dem Steig und nimmt sich vor, ihn nicht zu verlassen. Auf den Rastplätzen und an der Ausweichstelle, wo der Gupf einen Überhang bildet und eine in den Boden gerammte Bank steht, stößt er auf Črtelovka. Boštjan, starr vor sich hin blickend, tut so, als hätte er die Alte nicht auf der Bank sitzen sehen, und ist auch schon an ihr vorüber. Dabei wird er sich der Schäbigkeit und Lächerlichkeit eines solchen Verhaltens bewußt, zugleich erreicht ihn das Gefühl, daß er die Gunst des Augenblicks verpaßt und eine gute Gelegenheit ungenützt verstreichen läßt. Črtelovka ist eine Hoffnung und eine Möglichkeit, sie verheißt Gutes, hat einen guten Ruf im Dorf: Mütterchen Črtelovka, die Hebamme, hat viele Kinder in die
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