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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Neugier, gefährlich nahe an der Gafferei, sozusagen in ihr Gegenteil, da jeder in seinem Haus zu zittern anfing und die Tür verriegelte, wenn es klopfte. So hatten Lina und ihre Mutter noch in einer ruhigen Zeit bei dem Haus gerastet und die hier Vorbeigehenden sich noch an der gastfreundlichen Quelle erquickt. Als sie trank, verklemmte es sich in ihm, seltsam wirbelte es ihn herum, etwas bisher Unbekanntes und Unsagbares hatte ihm einen Stich versetzt und sich brennend in seinem Fleisch ausgebreitet, es schmerzte, ohne daß er sagen konnte, wo genau der Schmerz war. Schweigend betrachteten sie einander, und Boštjan begriff, daß sein Schweigen über ihres hinausreichte; als die beiden bereits auf dem Berg verschwunden waren, spürte er das Wogen
ihres Blicks noch immer auf sich. Damals begann er zu fühlen, was zu tun war, er wußte, daß er sich auf ihre Spur machen, für das Kommende vorsorgen mußte, und hatte, ob er es wollte oder nicht, vor dem Trog stehend bereits den ersten Schritt zu ihr getan. Ohne daß es eines Wortes bedurfte, hatten für ihn Bindung und Beziehung Gestalt angenommen. Hungrig nach Liebe, hatte er sie sich im voraus gesichert, um sie vorrätig zu halten für die Hungerzeit. Der Vorsorgende arbeitete auf Vorrat, reservierte sie sich vorsichtshalber für später, für den Mangelfall, noch ohne viel zu ahnen, geschweige denn zu wissen, wie schnell es ernst werden sollte. Er versah sich mit Liebe für die Zeit ohne Liebe. Er ließ Wasser in die Schale laufen, setzte seine Lippen an den Rand, den zuvor die ihren berührt hatten, und besiegelte so das stille Einverständnis.
    Seit diesem Aufenthalt vor dem Wassertrog vergingen Monate der Gewohnheit, vergingen Fahrradfrühlinge und Fahrradherbste in knabenhafter Zerstreutheit und in knabenhafter Leichtigkeit, noch nicht getrieben von Arbeit und Unglück, in unbeschwerter Kurzweil, wenngleich diese Stimmung immer wieder brennend gestreift wurde durch die junge Rastsuchende, die auf den Berg hinaufpilgerte, um mit der Mutter das Unwetter zu vertreiben, die Blitze im Bergkessel abzufangen, den Donner zu bändigen. Boštjan wünschte, sie würde bleiben, mit ihm durchs Birken- und Erlenholz jagen; wo sie war, da wollte auch er sein. Möge sie doch bei ihm bleiben und das Wetter den Fürbittern überlassen, die schon einen ganzen Wald von Rosenkränzen auf dem Buckel haben und denen unter der Last der Gebete die Knie nachgeben: Hundert Freuden würde sie ihm schenken, wenn sie bliebe, ein Glück wäre es schon, würde sie nur hinter der Mutter zurückbleiben und sich umblicken! Was
macht es schon, wo sich Boštjan doch so nach ihrer Nähe sehnt, was ist schon dabei, wenn darauf die Strafe Gottes folgt und das schlimmste aller Unwetter über ihn hereinbricht, weil die Unschuldige die Wallfahrt unterbrochen hat: alles wird gut, sie wird das Palmkreuz in den Ackerrain stecken, damit es die Blitze abfängt und sie nicht auf das Haus überspringen. Doch sie ist mit der Mutter weggegangen, um bei den Felsen die wahre Ruhe in der Natur zu finden, um Schaden und Unglück von Haus und Hof abzuwenden. Er hätte sie damals aufhalten sollen, nach der Zeremonie dort oben, als die Sonne wunschgemäß wieder hervorkam und die Wolken vertrieb; zurückhalten hätte er sie sollen, abfangen, als sie mit der Erhörung im Busen wiederkehrte, aber es war vorherbestimmt, daß er sie verfehlte, für eine lange Zeit. Und als dann noch seine Mutter und die Großmutter in verschiedene Richtungen weggingen, jede auf ihrem eigenen Weg, als Ugav und die weiße Schröpferin sich einigten, sich mit ihrer Ernte davonstahlen, mit ihrer Beute, und die Kinder allein im Haus zurückblieben, packte sie die Verlorenheit, überkam sie umso stärker die Verlassenheit und Einsamkeit. Die Angst beschlich sie und nistete sich in ihnen ein, verknotete sich, zeichnete die Keimknollen, den Keimling in die jungen, unberührten Knospen ein, zu jung für Knöllchen und Knoten.
    Später, es war Herbst, zogen sie ins Tal, aus einem Holzhaus mit einer kniehohen Grundmauer in ein Holzhaus nahezu ohne gemauertes Fundament. Auch dieser unansehnliche, spannhohe Unterbau, der das Haus in die Erde hineinzuwinden schien, war schuld; das im Dachstuhl, in den Sparren verborgene Krachen war schuld; die Starrheit des Gebäudes war schuld, daß sich hier das Unbehagen zu einem einzigen großen Schmerz
auswuchs. Das Geburtshaus hatte sich kräftig vom Boden abgehoben, sich abgestoßen und stand fest und sicher,

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