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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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unverhofft hält der Baum ein. Der Vater setzt seitwärts noch zwei Keile an, der Baum biegt sich stärker, neigt sich langsam, steht schief auf dem Stumpf und hält allmählich an, ein wenig wippt der Wipfel noch nach und beruhigt sich dann völlig. Der Baum steht still, was heißt er steht, der Baum schrägt, schief hängt er in die Lichtung, und obwohl er stark geneigt ist, fällt er nicht. Als hätte eine Sperre gegriffen, trotzdem weit und breit kein Hindernis zu sehen ist, seine Äste berühren die Nachbarbäume nicht, der Baum steht allein, das heißt, jetzt nicht mehr, jetzt beugt er sich stürzend ins Freie, wo soeben noch die Sonnen
strahlen spielten, die nun vor dem bedrohlichen Wolkengebüsch zurückgewichen sind. Der Spalt klafft und die Keile fallen nacheinander aus dem Schnitt, der Baum hängt hinaus in die Lichtung, von Zeit zu Zeit bersten Fasern, reißen vom Stumpf, der Baum hängt und stürzt nicht, lehnt sich an ein Hindernis, das nicht da ist, auf eine Stütze, die nicht einknickt, eine Sperre, die nicht nachgibt, und es fehlt nur noch, daß er sich von allein wieder aufrecht hinstellt. Plötzlich nimmt er vom Stock weg eine andere Richtung, so daß die noch nicht ganz abgerissenen Fasern neuerlich aufächzen, und beginnt zu fallen, aber nicht in die freie Lichtung hinein, sondern auf eine Buche zu, die sie erst jetzt wahrnehmen und die so weit abseits steht, daß sie sie bei der Festlegung der Fallrichtung gar nicht beachtet hatten. Selbst Boštjan würde es gruseln, jetzt allein im Wald zu sein, als er zuschaut, wie die mächtige Kronenfichte zwischen die gegrätschten Äste der uralten Buche zielt und sich mit einem Krach darin verkeilt und einhakt, in der Gabel steckenbleibt. Hängengeblieben am Buchengalgen und festgekeilt, wo sie es nie und nimmer können und dürfen hätte und wo es am wenigsten nötig war. Haben vielleicht krumm zusammengewachsene Fasern den Baum in die falsche Richtung gedreht, haben die Wasseradern verrückt gespielt, hat sich die Erdstrahlung zu stark erhöht, haben irgendwelche Wirbel im Wurzelstock den Baum aus der Bahn geworfen, ist das kochende Erz unten wild geworden, hat der Mond ihn ins Schleudern gebracht, daß er sich anstellt, als wäre alles verhext? Oder ist während des Fallens der Bergwind durch die Baumkronen gefegt und mit dem Wipfel im Arsch über den Holzschlag geritten, hat der Teufel hineingefunkt oder die Schutzpatronin Marjeta sich einen besonderen Scherz erlaubt? Hat sich etwa gar die
Luft zu einer unsichtbaren, undurchdringlichen Mauer verdichtet und dem fallenden Baum den Weg abgeschnitten, die breitästige Fichte mitten im Hineindonnern in die Lichtung gestoppt? Hat sich der Baum womöglich an verwunschene, unsichtbare Urzeitruinen gelehnt, die ihm dann, erzürnt über die Belästigung und Störung der jahrhundertelangen Ruhe, eins auswischten und ihn in die falsche Richtung stießen, in die Grätsche der alten Buche? – Boštjan steht nur in der Nähe herum und hält die Hände verschränkt, dem Vater schwirren im Kopf die Funken durcheinander, er kommt gar nicht auf den Gedanken, daß Boštjan den Baum gedreht, ihm mitten im Fall eine andere Richtung gegeben haben könnte. Nichts leichter als so eine Wendung aus dem Stand, nichts leichter als der Schwenk eines solchen Baumes im Schwung und die Drehung in eine andere Richtung, das macht er mit links! So eine Schande hat dem erfahrenen Holzer noch gefehlt, wo doch nichts peinlicher ist, als wenn ihm ein Baum hängenbleibt! Der Vater wird es niemals erfahren, der Sache nie auf den Grund kommen, so wie er auch nie etwas erfahren wird vom Versteck der Kügelchen und vom Murmelspiel vor dem Haus.
    Eines Tages ist Boštjan allein im Haus. Die Sonne hat sich hinter die Haufenwolken geschoben, und sogleich stiebt der Schaub durch die Fensterscheibe und flattert in die Stube herein; kaum nimmt das Tageslicht ein wenig ab, schon ist der Wicht da, um die Anordnungen des Vaters zu befolgen und aus eigener Bosheit noch etwas hinzuzufügen. Auch am hellichten Tag hat dieser mißgünstige Aufpasser keine Scheu, mit den Fensterläden zu klappern und sich ums Gebälk zu schlingen. Vanč hat seinen Spielball als Geschenk zurückgelassen, und obwohl ihn Boštjan rasch unter dem Bett versteckt, erschnuppert ihn der Schaub im
Nu, surrt zum Fußteil los und tappt nach ihm. So wird sein erster eigener Ball wohl nicht lange halten, nicht einmal den ersten Tag überstehen. Wenigstens sind die Murmeln außerhalb des

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