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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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das neue machte auf Boštjan den Eindruck, als rutschte es von den Fundamenten. Wie der Unterbau auch beschaffen war, das Haus hatte einen großen Vorteil: es brachte ihn näher an Lina heran, er stellte sich ihr sozusagen in den Weg, und nun mußte sie auf ihn stoßen, denn hier kam sie regelmäßig vorbei. Die Sonntage hielten ihn aufrecht, unterbrachen die Mühen der den Regeln des Vaters gehorchenden Werktage, befriedeten für kurze Zeit seine alte Verbitterung. Lina ließ ihn nicht los, entrückt und unerreichbar heilte sie ihn aus der Ferne, geheilt war er von ihr nie. Gegen diese Krankheit gab es kein Mittel außer ihr selbst. Die Kirche wurde zu einem verläßlichen und unverdächtigen Ort, wo er sie sehen konnte; er nahm an den Riten teil, wann immer es möglich war, schon der Weg dorthin bereitete ihm körperliche und seelische Lust. Boštjan beneidete Vanč, weil er ministrieren und sonntags, den Kessel vor sich hertragend, den Pfarrer in die Kirchenmitte begleiten durfte, wenn Hochwürden mit dem Weihwasserschwengel das Volk besprengte, das in den Bänken versammelt, an die Wände gepreßt oder an die Pfeiler gelehnt war, um diese biegsamen Reiser ein wenig zu erfrischen, dieses gefügige Schilf etwas zu stärken und ein paar lichte Tropfen in seine Finsternis zu spritzen, vor allem aber, damit die Sünden des Volkes vor Beginn der Messe mürb wurden und nach der Buße auf den Boden niederfielen wie die Mostbirnen oder die süßen Krainer Birnen ins Gras. Besonders ausgiebig trieb es Hochwürdens Borstwedel unter dem Chorgestühl, wo sich im Finstern die Geschlechter gern durcheinandermischten und ihr Hofzeremoniell hielten. Er beneidete den Pfarrer, der sich bei der Aufweichung der Sünden von Verstock
ten immer der weicheren Frauenseite zuneigte, während die Aspergillspritzer von den hageren Zerfurchungen auf der Männerseite nur zu leicht abprallten, wirkungslos blieben, fruchtlos herunterrannen. Der Umgang war zugleich eine Musterung der Herde, weil jeder seinen Platz hatte und eine Lücke in der Reihe sofort auffiel. Manchmal streifte Vanč fast mit dem Ellbogen bei Lina an, wenn sie vorn stand. Anfangs genügte es Boštjan, sie nur von weitem zu sehen oder wenigstens zu wissen, daß sie sich in der Menge befand. Er suchte zwischen den Kopftüchern nach ihr, und sein Herz wurde weich wie eine abgelegene Frucht, der Tag bekam Inhalt, die Woche Kopf und Fuß, schlimm war es nur, wenn er sie nicht entdeckte. Zuletzt ging er nur noch wegen Lina nach St. Marjeta, es war der einzige Ort, wo seine Augen sich ungestört an ihrem Liebreiz satt sehen konnten. Lina war die Frohbotschaft und die Verkündigung, die Vorhersage, durch die er sich mit sich selbst aussöhnte und ruhig wurde, die Mühen der Woche vergaß. Es machte ihm jetzt nichts aus, daß es für die geleistete Arbeit keine Anerkennung gab und nie genug getan werden konnte, die Arbeit ging ihm dann leicht, gewandt und zügig von der Hand, der Tag verlief nach Wunsch. Sah er sie nicht, war die Woche verdorben, voll Mißmut und Unbehagen, voller Hindernisse und Mißgeschicke, die Arbeit kehrte immer wieder zu ihm zurück, wollte nicht von der Hand gehen. Boštjan war erwachsen und ein Kind, manchmal beides zugleich, manchmal von beidem etwas, einmal nur Kind und nicht erwachsen, einmal nur erwachsen und nichts von einem Kind.
    Äußerlich heuchelte er kühle Gleichgültigkeit, so überzeugend am Beispiel seiner Nächsten einstudiert, daß nicht einmal die mit der außerordentlichen Gnade Gottes ausgestatteten Spio
ninnen eine Chance hatten, wo es doch im Dorf niemanden gab, über den sie nicht schon hergezogen waren. Seit Ewigkeiten stöberten und stocherten sie im Mist anderer herum, durchwühlten die Ehebetten, spionierten auf fremden Krautäckern und fegten überall, nur nicht vor der eigenen Tür; sie wachten darüber, daß zwischen den Jugendlichen kein Feuer entbrannte, und wenn es doch dazu kam und es ihnen nicht paßte, erstickten sie die Funken im Keim. Nicht einmal diese talentierten Dorfschnüfflerinnen, obwohl durch das Sakrament der heiligen Nachrede dazu befähigt, nicht einmal die geübtesten Spitzmäuse und die kriecherischsten Geiferer, denen sonst kein noch so heimliches Zwinkern entging, schöpften diesmal Verdacht, durchschauten Boštjans scheinbare Gleichgültigkeit oder ahnten, was im Busch war. Weder der Vater, der die Gesetze unverändert aus dem alten in das neue Haus gebracht hatte, noch die allen göttlichen Segens

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