Bote des Todes
Siobhan aufwachen und sie sehen konnte. Sie ging durch den Flur in die Küche und wollte eben das Licht einschalten, als sie hörte, wie die Tür zum Pub aufgeschlossen wurde.
Wie erstarrt blieb sie neben dem Kühlschrank stehen. Ihr Herz pochte so laut, dass sie fürchtete, gehört zu werden, auch wenn sie sonst keinen Laut von sich gab.
Wenn es Danny war, würde sie sofort losschreien. Sie würde alle aufwecken und ihrem Vater sagen, er solle Daniel O’Hara sofort aus dem Haus werfen.
Aber es war nicht Danny, sondern ihr Bruder. Er schloss die Tür leise hinter sich ab und trat – auf Strümpfen gehend – in den Flur.
„Das hat aber lange gedauert, den Pub zu schließen“, sagte Moira leise aus dem Schatten heraus.
Patrick wirbelte herum und sah sie leichenblass an. „Verdammt, Moira, was ist eigentlich in letzter Zeit mit dir los? Willst du das ganze Haus aufwecken?“
„Wo bist du gewesen?“
„Was soll das? Bin ich dir irgendeine Erklärung schuldig?“
„Wo bist du gewesen?“
„Warum redest du nicht gleich so laut, dass meine Frau aufwacht und mir dieselbe Frage stellt? Dann hätten wir wenigstens einen richtigen Streit.“
„Patrick, ich habe dich gefragt …“
Ihr Bruder kam zu ihr. „Ich war mit Freunden unterwegs, Moira.“
„Am Abend nach Seamus’ Tod?“
„Ja, am Abend nach Seamus’ Tod. Das ist etwas typisch Irisches, weißt du? Ich war mit anderen Freunden von Seamus unterwegs, wenn du es genau wissen willst. Wenn du noch mehr wissen willst, dann schreib deine Fragen bitte auf, und ich werde sie dir später beantworten. Ich möchte noch ein paar Stunden schlafen.“
Er ließ sie in der Küche stehen und ging durch den Flur zum Schlafzimmer. Wütend und ängstlich zugleich sah sie ihm nach. Sie liebte ihren Bruder.
Aber wo zum Teufel war er gewesen?
War er schon früher zurückgekommen und hatte gemerkt, dass jemand auf ihn wartete? Nein, das ergab keinen Sinn. Er hätte jederzeit zurückkommen können, er hatte eine plausible Erklärung. Er wohnte hier.
Mit einem Mal war sie hundemüde. Immerhin war es schon nach fünf Uhr früh.
Ein paar Stunden Schlaf wären vielleicht keine so schlechte Idee.
Moira ging zur Haustür und betrachtete sie. Sie fragte sich, ob sich der obere Riegel noch immer zuschieben ließ. Schließlich war er seit ihrer Zeit an der High School nicht mehr benutzt worden.
Sie wagte einen Versuch, und nach anfänglichem Widerstand gab der Riegel schließlich nach und ließ sich zuschieben. Sie ging weiter zur Tür, die zur Wendeltreppe führte. Hier hatte man früher eine Kette vorgehängt, aber die Kette fehlte schon seit langer Zeit. Sie war nicht mehr nötig, denn der Pub hatte eine Alarmanlage.
Moira wandte sich von der Tür ab. Anstatt in ihr eigenes Zimmer ging sie in Granny Jons Zimmer und legte sich vorsichtig neben sie ins Bett. Sie ließ den Kopf auf das Laken sinken, glaubte jedoch nicht, dass sie noch Schlaf finden würde. Sie hatte alles abgeschlossen, aber hatte sie damit die Gefahr für ihre Familie ausgesperrt oder vielleicht doch eingesperrt?
Irgendwann schlief sie ein, bis die panische Stimme ihrer Mutter sie hochschrecken ließ.
„Eamon! Moira ist nicht im Haus!“
Sie hatte mit dem Kopf am Fußende gelegen, und als sie hochfuhr, sah sie, dass ihre Großmutter ihr einen erstaunten Blick zuwarf. Moira lächelte traurig und sprang auf. Sie war noch so verschlafen, dass sie benommen zur Tür taumelte und dann in den Flur eilte.
„Ich bin hier, Mum, ich bin hier.“
„Oh, Moira, Liebes“, sagte Katy und nahm sie in die Arme. „Es tut mir Leid. Ich wollte dich wecken, weil du mit Dad zu Flannery’s gehen wolltest. Ich wollte dir nicht nachspionieren, aber als ich sah, dass du nicht in deinem Zimmer warst … in letzter Zeit geschieht hier so viel …“
„Ich bin da, ich bin nur … es war mir einfach lieber gewesen, mich zu Granny Jon zu legen.“
Katy nickte verstehend.
„Ich will auf jeden Fall Dad begleiten. Ich gehe nur schnell unter die Dusche, dann bin ich so weit.“
Als Moira aus ihrem Zimmer kam, waren ihr Vater und ihre Schwester bereits angezogen und warteten auf sie.
„Willst du noch frühstücken, Moira?“ fragte Katy.
„Nein, Mum, ist nicht nötig.“
„Trink wenigstens einen Tee.“
Sie wollte Nein sagen, doch ihre Mutter goss bereits Tee in eine Tasse ein. Sie sah ihren Vater entschuldigend an, weil sie ihn warten ließ.
„Kommt Patrick auch mit?“ fragte sie, nahm die Teetasse entgegen und
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