Bote des Todes
Finger. Mit einem Mal kehrten alle Erinnerungen zurück. Sie merkte, dass sie seine Hände anstarrte, die die Zapfanlage bedienten. Eine Hitzewallung ging durch ihren Körper, und ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie ein schrecklicher Mensch war. Aber es stimmte. Er
war
gut im Bett.
Doch das war Michael auch. Sie hatte Danny geliebt, wahrscheinlich ihr halbes Leben lang. Sie hatte jahrelang auf einen anderen, auf den Richtigen gewartet. Auf Michael. Sie war nicht so dumm. Sie war alt genug, um zu wissen, dass das, was gut war, nicht immer richtig war.
Dennoch …
Dannys Augen. Der Schwung seiner Lippen, sein Humor. Die Art, wie er mit ihr lachen konnte, wie er über sich selbst lachen konnte. Die Art, wie er seinen Arm um sie legte, wie er sie festhielt, wie er immer im richtigen Augenblick Wärme und ein Gefühl des Verstehens vermitteln konnte. Und dann kam mit einem Mal seine sinnliche, seine rein sexuelle Art zum Vorschein, dass ihr der Atem stockte …
„Seamus braucht noch ein Bier“, sagte sie, um sich von ihren gefährlichen Gedanken abzulenken.
„Seamus hat schon mehr als genug getrunken.“
„Patrick ist zurück, da drüben ist er. Er wird den alten Seamus schon nach Hause bringen. Er wohnt nur ein paar Blocks entfernt. Gib ihm noch ein Bier, er unterhält sich so gut mit Dad.“
„Ich glaube,
du
solltest dir mal ein Bier genehmigen.“
„Vielleicht mache ich das.“
„Vielleicht kann ich dir auch mehr als genug einflößen.“
„Mehr als genug für was? Damit du mich ins Bett bekommst? Langweilst du dich hier diesmal zu Tode, Danny? Bin ich für dich zur Herausforderung geworden, weil Michael hier ist? Weil ich nach all den Jahren jemanden habe, der mir wirklich etwas bedeutet?“
„Weil ich dich wirklich liebe.“
„Danny, du weißt doch gar nicht, was das Wort bedeutet.“
„Das habe ich schon immer gewusst, Moira.“
„Moira, haben wir Fosters?“ fragte Colleen.
„Nur vom Fass.“
„Das ist okay. Gib mir zwei Fosters, zwei Buds und ein Coors.“
„Danny, hol mir das Coors“, sagte sie. Er war zu nahe. Sie hatte sein Aftershave schon immer gemocht. Es war ein dezenter Duft, der …
Der Erinnerungen weckte.
Vielleicht
sollte
sie ein Bier trinken. Nein, ein Schuss Whiskey und eine kräftige Ohrfeige waren wohl besser, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Während sie weiter die Getränke für Chrissie zusammenstellte, hörte Moira das Telefon klingeln. „Ich gehe ran“, sagte sie zu Danny, als er das Coors auf das Tablett stellte.
„Ich mache das schon“, erwiderte er.
„Moira, ich brauche noch zwei Buds“, rief Colleen dazwischen. „In der Flasche.“
Als Moira zum Kühlschrank ging, hörte sie Danny mit leiser Stimme in den Hörer sprechen.
Sie versuchte, ihn zu verstehen, allerdings wollte es ihr nicht gelingen, ihn zu hören. Aber dann wurde ihr klar, dass sie sehr wohl
hören
konnte, ihn jedoch nicht verstand. Er sprach Gälisch.
Seine Stimme war gedämpft – und sehr eindringlich.
Als er sah, dass sie ihn beobachtete, grinste er sie an. Aber sie merkte, dass es nicht Dannys übliches Grinsen war. Einen Moment später legte er auf.
„Wer war das?“ fragte sie.
„Ach, irgendein alter Kerl. Wollte wissen, ob das hier ein echter irischer Pub ist. Ich hielt es für richtig, ihn davon zu überzeugen.“
Sie sprach kein Gälisch. Von ein paar Worten abgesehen, die sie hier und da aufgeschnappt hatte, war sie mit der Sprache nicht vertraut. In der Schule hatte sie Französisch und Spanisch gelernt, beides Sprachen, die man in den Staaten eher gebrauchen konnte.
Moira entschloss sich zu einer Lüge. „Habe ich dir eigentlich gesagt, dass ich inzwischen einen Kurs in Gälisch besucht habe?“
Sie fragte sich, warum er nicht Schauspieler geworden war. Sie war sicher, dass er sich verkrampfte, aber er würde sie nicht erkennen lassen, was ihm wirklich auf der Seele brannte. Oder er durchschaute ihren Bluff.
„Es ist so weit, Moira Kelly“, sagte er. „Allmählich gehts hier etwas ruhiger zu, ich glaube, ich kann dir die Theke komplett anvertrauen.“
Er wollte nach draußen gehen, blieb aber nach ein paar Metern stehen, kam zu ihr zurück und packte sie überraschend an der Schulter. Sein Blick verriet, dass er es völlig ernst meinte.
„Wenn das stimmt, Moira, dann lass es niemanden wissen, hörst du?“
„Danny …“
„Hör mir nur dieses eine Mal zu, Moira. Lass niemanden wissen, dass du auch nur ein einziges Wort
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