Bote des Todes
vergessen?“
Moira stand in einiger Entfernung hinter ihrer Mutter und beobachtete die Szene.
„Ich wusste natürlich, dass du hier bist. Ich hatte auch vor, in Kelly’s Pub vorbeizuschauen, wenn der St. Patrick’s Day vorüber ist.“
„Wirklich?“
„Natürlich. Ich wusste, dass du Eamon Kelly geheiratet hattest und in die Staaten gegangen warst. Kelly’s ist in der Heimat ziemlich bekannt, Katy. Mein Gott, du hast dich ja kein bisschen verändert!“
„Das ist zwar lieb, aber es ist über dreißig Jahre her.“
„Ich bleibe dabei, du hast dich nicht verändert.“
„Ach, komm schon, Jacob. Wir sehen doch beide richtig … müde aus“, sagte Katy und lachte. „Ich bin zum Frühstück mit meiner Tochter hier. Ich würde sie dir gern vorstellen. Sie wollte dich übrigens anrufen.“
„Ach ja?“ Brolin sah ihr über die Schulter und entdeckte Moira. Er lächelte sie freundlich an. „Sie ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten, Katy.“ Er ging auf sie zu, nahm ihre Hände und küsste sie auf die Wangen. „Warum wollten Sie mich denn anrufen?“
„Ich … ich würde mich gerne mit Ihnen für eine amerikanische Reisesendung unterhalten, Mr. Brolin“, sagte sie. „Wir wollen den Zauber des St. Patrick’s Day in Amerika zeigen. Es geht zum großen Teil um das Sprichwort, dass an St. Patrick’s Day jeder zum Iren wird.“ Sie machte eine Pause und überlegte, ob sie womöglich dummes Zeug redete. Sie war so überrascht gewesen. Kannte ihr Vater Brolin auch? Wenn ja, hätte er das nicht dann erwähnt, als Seamus und Liam so voller Begeisterung über den Mann gesprochen hatten?
Brolin sah einen seiner Leibwächter an. „Das bekommen wir schon irgendwie geregelt. Rufen Sie mich morgen auf meinem Zimmer an, dann machen wir eine Zeit aus. Möchten Sie sich zusammen mit Ihrer Mutter zu uns setzen?“
„Wir müssen leider wieder zurück“, sagte Katy. „Aber wir wären wirklich sehr erfreut, wenn wir dich als unseren Gast begrüßen dürfen, sobald du frei von deinen Verpflichtungen bist.“
„Und wie läuft Kelly’s Pub?“ wollte er wissen.
„Volles Haus, schließlich naht St. Patrick’s Day“, erwiderte Katy.
Er nickte. Moira stellte überrascht fest, dass er sie betrachtete. „Na, das ist doch schön. Und ich werde dich und Eamon und die Familie sehr gerne besuchen.“
„Dann sehen wir uns noch, Jacob.“ Sie lächelte die Leibwächter an. „Entschuldigung für die Störung.“
Jacob Brolin gab Katy einen Kuss auf die Wange. Sie nahm Moira am Arm und sagte: „Zeit zum Aufbruch.“
„Vergessen Sie nicht, mich anzurufen“, sagte Brolin.
Moira blickte noch einmal zurück. „Auf keinen Fall, und nochmals vielen Dank.“
„Nun komm schon“, sagte ihre Mutter. „In all den Jahren wirst du bestimmt gelernt haben, wie man einen würdevollen Abgang macht.“
„Ich habe nicht aufgegessen.“
„Ich mache dir zu Hause deine Eier à la Benedictine. Wir gehen jetzt.“
„Mum! Wenn wir gehen, ohne zu bezahlen, könnte das sehr peinlich werden.“
„Oh, natürlich“, sagte Katy und blieb neben dem Tisch stehen und wartete, bis der Kellner die Rechnung brachte und das Geld einsteckte.
Auf der Straße angekommen, sah Moira ihre Mutter eine Zeit lang einfach nur an. „Ich … ich hatte keine Ahnung, dass du ihn kennst!“
„Ich kenne ihn nicht wirklich, wir sind uns nur vor vielen Jahren begegnet.“
„War er … war er …“, stammelte sie verlegen.
„War er was?“
„Ich weiß nicht. Eine frühere große Liebe oder so?“
Katy schüttelte ungehalten den Kopf. „Du machst dich über mich lustig, Tochter.“
„Nein, Mum …“
„Die jüngere Generation meint immer, sie würde als Erste Sex und Leidenschaft entdecken. Dabei geht das schon seit Jahrhunderten so, Moira.“ Sie ging zur Treppe, die zur Haltestelle der U-Bahn führte.
„Mum, ich wollte dir sagen, wie beeindruckt ich bin …“
„Das musst du nicht sein.“
„Er ist ein sehr wichtiger Mann.“
„Er ist so wie jeder andere. Bloß kennt er beide Seiten des Problems.“
„Aber wie bist du ihm begegnet? Ich dachte, wir kommen aus Dublin. Und ich dachte, du hättest dich nie für Politik interessiert.“
Katy sah sie verärgert an. „Du bist aus Boston, du lebst in New York, und du bist viel herumgekommen. Du weißt einiges über den amerikanischen Bürgerkrieg. Väter, die gegen ihre Söhne gekämpft haben, Brüder, die auf verfeindeten Seiten standen, Familien, die zerrissen
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