Bote ins Jenseits
normalen Seelen angewiesen. Meine Vorräte werden von zufriedenen Kunden aufgefüllt, natürlich auf rein freiwilliger Basis.«
Der Bote verließ das Büro erneut, um Kamp noch einen Tee zu holen. Der fühlte, zum ersten Mal seit seinem Tod, echten inneren Frieden. Er konnte einen Tee trinken, man würde ihm helfen, und Gregor war von allen Boten, die er bisher kennengelernt hatte, der mit Abstand sympathischste… abgesehen vielleicht von seinem Hang zur Unordnung.
Kamp betrachtete einige der Fotos, die an den Pinnwänden hingen. Es waren Bilder von Familien, Frauen, Männern und Kindern. Vereinzelt hingen auch Fotos von Hunden oder Katzen dazwischen. Er vermutete, dass es sich dabei um die Erdenbürger handelte, mit denen die Kunden des Vergeltungsboten noch eine, wie auch immer geartete, Rechnung offen hatten.
Gregor kehrte mit einem Tablett zurück. Es enthielt Kamps Tee, ein Schälchen Schokoladenkekse, eine Schachtel Zigaretten und einen Aschenbecher.
Kamps Kinnlade klappte auf. »Sie… rauchen?«
»Na klar!«, antwortete der Bote fröhlich. »Du etwa nicht? Ich weiß, dass es für Menschen schädlich ist. Uns kann es aber nichts mehr anhaben, dafür bräuchten wir eine Lunge. Ich wäre dir übrigens sehr dankbar, wenn du aufhören würdest, mich zu siezen. Das tun wir hier nicht! Ich heiße Gregor.«
Gregor steckte sich wie selbstverständlich eine an. Kamp wollte gar nicht wissen, wie man ohne Lunge überhaupt rauchen konnte. Er hatte es zeit seines Lebens abgelehnt und würde jetzt nicht damit anfangen, nur weil er tot war. Zu gern hätte er mit ihm über Gesundheitsrisiken und die Gefahr des Passiv-Rauchens geredet. Er verstand etwas vom Bekehren. Zu dumm, dass seine über Jahre perfektionierte Argumentationskette hier auf sehr wackeligen Beinen stand.
»Sie… du kannst mir also helfen?«
»Oh, das will ich doch hoffen. Bisher hat es noch keinen Auftrag gegeben, mit dem ich nicht fertig geworden wäre.«
Das klang gut in Kamps Ohren.
»Und was passiert jetzt?«
Gregor drückte die Zigarette aus und blies einen blauen Ring in die Luft.
»Ich habe da noch einen Auftrag, der aber so gut wie erledigt ist. Spätestens morgen sollte er abgeschlossen sein. Ich würde sagen, du kommst in vier Tagen wieder zu mir. In der Zwischenzeit werde ich mir eine Strategie überlegen und sie dann mit dir besprechen. Einverstanden?«
Kamp nickte. Während er in aller Ruhe seinen Tee austrank, wühlte sich Gregor, ohne ihn weiter zu beachten, durch seine Unterlagen.
Kamp stand schließlich auf und hielt ihm die Hand hin. »Es freut mich sehr, dich kennengelernt zu haben. Das ist die reine Wahrheit!«
Gregor lächelte und erwiderte den Händedruck. »Ganz meinerseits. Bis in vier Tagen.«
Nach Ablauf der vier Tage wusste Kamp, wie zermürbend Langeweile sein konnte. Er hätte nicht für möglich gehalten, dass sich Sekunden wie Kaugummi ziehen konnten, wenn man keinen geregelten Tagesablauf mehr hatte. Wenige Minuten fühlten sich wie Stunden an. Kamp musste sich die ganze Zeit über zusammenreißen, um nicht einfach zu Gregor zu gehen.
Schon allein die Aussicht auf einen Tee machte ihn wahnsinnig!
Sie hatten aber vereinbart, seinen Fall in vier Tagen zu besprechen, und er würde sich nicht die Blöße geben, seine Existenz im Jenseits als ungeduldige Nervensäge zu beginnen.
Es war nicht so, dass es nichts zu tun gab. Er konnte jederzeit in den nächsten Bus steigen, um sich zu irgendwelchen Sehenswürdigkeiten fahren zu lassen. Da gab es den Licht-Vulkan im Tyndall-Park. Der Park galt, nach Aussage seines Betreuungsboten, an dem er einen Teil seiner Langeweile abreagierte, als einer der schönsten auf der ganzen zweiten Ebene. Außerdem empfahl Toni nachdrücklich einen Musik-Pavillon, den man gerade erst eingeweiht hatte. Rund um die Uhr wurde dort musiziert, in gemütlichem Ambiente bei fantastischer Akustik – und auf der falschen Seite des Rombus. Na ja.
Er hätte auch in jede andere Stadt fahren können, alle dermaßen mit Attraktionen und Sehenswürdigkeiten vollgestopft – jenseitsspezifischen und von der Erde nachgebildeten – dass es ein ganzes Jahrzehnt brauchen würde, um sie alle zu sehen. Kamp kam sogar der Gedanke, dass er sich auf die Suche nach der Seele seiner Mutter machen konnte. Die Chancen, dass sie die Einwohnerzahl einer der vielen Jenseits-Städte hier bereicherte, standen nicht schlecht.
Aber ihm fehlte die Motivation. Er konnte und wollte sich jetzt auf nichts anderes
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