Bote ins Jenseits
er verspürte so etwas wie Ehrfurcht. Dieser Bote hatte bereits etwas geleistet und schien in seinem Job gut zu sein.
Ein erstaunlich jung aussehender Mann, dem die blonden Locken tief in die Stirn hingen, öffnete ihm die Tür. Nach Kamps Einschätzung konnte er nicht älter als Mitte zwanzig sein. Besonders Ehrfurcht gebietend sah er auch nicht gerade aus.
»Was gibt’s?«
Kamp mutmaßte kurz, dass es sich vielleicht um einen Gehilfen von diesem Gregor oder irgendeinen anderen Boten handeln könnte, aber dann fing sein Blick die tiefgrünen Schwingen auf dessen Schultern ein. Er musste es sein.
»Äh, hallo. Man hat Sie mir empfohlen. Ich habe da ein Problem zu lösen.«
Der Bote nickte. »Komm rein.«
Kamp folgte ihm in einen großen Büroraum, der ihn spontan an das Controllingbüro seiner Firma erinnerte. Es lag weniger an der Einrichtung, als vielmehr an der Unordnung. Drei zusammengeschobene Schreibtische standen in der Mitte des Raumes. Von ihrer Oberfläche war jedoch nichts zu erkennen. Alles lag voll mit Papieren, Büchern und Büroartikeln. Das reinste Chaos. An den Wänden hingen große Magnettafeln. Auch sie waren vollgestopft mit Zetteln, Bildern und Zeitungsartikeln. Auf dem Boden lagen, um den Schreibtisch herum drapiert, mehrere Papierstapel.
Kamp war bekennend pingelig, was die Ordnung am Arbeitsplatz anging. Für blöde Sprüche vom organisierten Chaos als Zeichen für Genialität hatte er eher wenig Verständnis.
»Setz dich doch.«
Kamp sah sich um. Auch die Stühle wurden als Ablagefläche benutzt, und außer dem, auf den der Bote gerade zuging, war sonst keiner frei. Der Bote bemerkte seinen verwirrten Blick.
»Oh, entschuldige bitte.«
Der Bote räumte einen Stuhl frei und legte den Stapel zu den anderen auf den Boden.
»Hier herrscht im Moment etwas Unordnung. Hab mir jetzt extra eine Praktikantin aus der Botenakademie zuteilen lassen, um hier mal wieder ein wenig Linie reinzubekommen. Ich frag mich nur, wo die Dame gerade steckt. Kann ich dir was anbieten, Kaffee, Tee?«
Kamps Ohren klingelten. »War das Ihr Ernst?«
Der Bote sah ihn überrascht an. »Was meinst du?«
»Sie haben Tee?«
»Ach so. Ja sicher. Du kannst aber auch einen Saft haben. Oder ‘ne Cola, wenn dir das lieber ist.«
»NEIN! Tee wäre fantastisch. Schwarzen, wenn Sie haben. Ohne alles.«
»Kommt sofort!«
Der Bote verließ das Büro, und Kamp hörte etwas klappern. Kurze Zeit später kehrte er mit zwei Bechern in den Händen zurück und reichte Kamp – der vor Freude am liebsten geweint hätte – einen davon.
»Vielen Dank!«
»Kein Problem. Und jetzt raus mit der Sprache. Wie kann ich dir helfen? Nein, lass mich raten… es geht um Rache.«
Kamp nahm einen vorsichtigen Schluck. Es war der köstlichste Tee, der jemals seine Geschmacksknospen berühren durfte. Wie konnte man von ihm verlangen, auf so etwas für alle Ewigkeit zu verzichten? Das war grausam, ein Fall von Hölle!
»Hab ich recht?«, hakte Gregor nach.
Kamp nickte und erzählte dem Boten, unterbrochen von genussvollem Schlürfen, seine Geschichte, angefangen bei seinen letzten Minuten auf Erden bis zu seinem Gespräch mit Toni dem Betreuungsboten. Der Bote hörte konzentriert, aber ohne sichtbare Gefühlsregung zu.
»Verstehe. Du möchtest mit meiner Hilfe herausfinden, wem du das zu verdanken hast, und den Mistkerl dafür büßen lassen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, hast du keinen Verdacht, wer dahinterstecken könnte?«
»Leider nein. Nicht den leisesten.«
Der Bote nickte langsam.
»Das macht es natürlich etwas komplizierter. Weißt du, die meisten, die mit so einem Anliegen zu mir kommen, wissen bereits, wer es gewesen ist, oder haben zumindest eine ziemlich konkrete Vorstellung davon. Da hat man dann einen Ansatzpunkt, um in den Fall reinzukommen. Aber es wird auch so gehen. Noch einen Tee?«
Kamp dachte schon, er würde ihn nie fragen.
»Ja bitte, gerne. Wie kommt es eigentlich, dass Sie Tee und andere nutzlose Dinge haben?«
Der Bote lächelte. »Ah, nutzlose Dinge. Lass mich raten. Ein Kollege aus der Anmeldung? Diese kleinen Spießer.«
»Äh, nein. Es war der Pförtner. Ich glaube, Luc war sein Name.«
»Ach was? Der gute alte Luc? Sieht ihm gar nicht ähnlich. Es sind zum Glück nicht alle so. Viele von uns Boten wissen das menschliche Bedürfnis nach Genuss durchaus zu schätzen, auch wenn sie uns an der Akademie etwas anderes predigen. Leider verdienen wir kein Geld und sind auf Zuwendungen von ganz
Weitere Kostenlose Bücher