Bote ins Jenseits
zuständige Staatsanwalt es für angebracht hielt, konnte er eine Obduktion des Leichnams anordnen, um herauszufinden, ob etwas Ungewöhnliches zu finden war.
Im Bundesschnitt galt, dass nur jeder zehnte Tote in die Gerichtsmedizin kam und nur jeder fünfzigste Tote obduziert wurde, und das trotz der Tatsache, dass jeder zweite Mord in Deutschland unentdeckt blieb.
So war die Regel.
In Köln – was für eine Überraschung – tickten die Uhren anders. Die Rheinmetropole war eine der deutschen Städte, in der mit am seltensten obduziert wurde, natürlich aus finanziellen Gründen, denn eine Obduktion kostete fünfhundert Euro. Zwar waren auch die Berliner Kassen nicht zum Bersten gefüllt, aber dennoch wurde dort weitaus häufiger post mortem eine eingehendere Untersuchung durchgeführt. Man lag also deutlich unter dem Schnitt.
So war es ein fast unglaublicher Zufall, dass in Thores Fall die Entscheidung für eine Obduktion gefallen war. Sie schnitten ihn auf, untersuchten ihn, fanden Drogen in seinem Magen – und zogen die falschen Schlüsse.
Gregor starrte grübelnd auf die Straße. Der Besuch bei Kamps Schwester war in so mancher Hinsicht anders verlaufen, als er es erwartet hatte. Es steckte viel Trauer in Heike Kamp, aber auch noch etwas anderes. Das Verhältnis zwischen den beiden war zumindest von ihrer Seite nicht so ungetrübt, wie Kamp es ihm geschildert hatte.
Gregor begann erste vorsichtige Theorien zu entwickeln, wohl wissend, dass sie keine Chance hatten, bei seinem Klienten auf fruchtbaren Boden zu fallen.
»Ich weiß, dass du das jetzt nicht gerne vertiefen möchtest, aber ich muss dich trotzdem fragen. Ist dir aufgefallen, dass sie nicht direkt auf meine Frage geantwortet hat?«
Kamp starrte den Boten mit zornigen Augen an. »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst«, antwortete er bockig.
Gregor schnaubte. »Lass den Quatsch. Du weißt genau, was ich meine. Sie hat meine Frage, ob sie sich vorstellen kann, dass du mit Drogen herumexperimentiert hast, weder bejaht noch verneint. Nein wäre einfach gewesen, ja eine Katastrophe. Sie ist ausgewichen, mein Freund.«
»Unsinn! Sie ist einfach nur verwirrt. Du hast es doch selbst gehört. Das war heute garantiert das erste Mal, dass sie seit meinem Tod mit jemandem darüber gesprochen hat. Mit einem Fremden, der ihr Salz in eine frische Wunde gerieben hat.«
Gregor verlangsamte das Tempo und fuhr rechts ran, honoriert von einem wütenden Hupkonzert seiner Hintermänner.
»Ich frage dich das nur ein einziges Mal, und ich gehe davon aus, dass du weißt, mit wem du es zu tun hast. Hast du jemals etwas mit Drogen zu tun gehabt?«
Kamp funkelte den Boten wütend an. »Ich würde dich jetzt gerne beißen!«
»Lenk nicht ab! Hast du oder nicht?«, beharrte Gregor unbeeindruckt.
»Auf keinen Fall! Ich hasse Drogen! Und ich habe null Verständnis für alle, die so dämlich sind, sich darauf einzulassen!«, bellte Kamp aufrichtig empört.
Gregor entspannte sich ein wenig und lehnte sich zurück. Kamp sagte die Wahrheit, daran bestand für ihn kein Zweifel.
»Dann hilf mir, dir zu helfen. Wirf deine Befindlichkeiten über Bord und erklär mir die Reaktion deiner Schwester.«
Kamp sackte in sich zusammen und versuchte das Chaos in seinem Kopf zu ordnen. Gregor hatte natürlich recht. Heikes Reaktion war merkwürdig. Aber ihn sollte der Teufel holen, wenn er wusste, warum sie nicht klipp und klar verneinte.
»Ich weiß es wirklich nicht«, wisperte er und starrte aus dem Fenster.
Schwarzer Tee
Nachdem sie in ihrem Quartier angekommen waren, suchte Kamp sich eine stille Ecke, um sich dort zusammengerollt seiner schweren Niedergeschlagenheit hinzugeben. Während der restlichen Rückfahrt hatte er geschwiegen. Gregor war schließlich einfühlsam genug, um sich denken zu können, dass jedes weitere Wort eines zu viel gewesen wäre, und Kamp war ihm dafür sehr dankbar.
Die Worte seiner Schwester fraßen sich wie Säure durch seine Gedanken. Sie schien sich tatsächlich vorstellen zu können, er habe Drogen genommen. Das war, für sich allein betrachtet, schon ein gezielter Tritt in die Weichteile. Noch dazu hatte sie ihm posthum zu verstehen gegeben, dass er sie mit seiner Zuneigung erdrückt hatte.
Nein, viel schlimmer. Sie hatte es ihm schon zu Lebzeiten gesagt – mehrfach. Sie hatte recht! Er hatte es nicht akzeptieren wollen. Der Gedanke, sie könnte ihn nicht mehr brauchen, war tatsächlich unerträglich für ihn gewesen.
Zum
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