Bote ins Jenseits
Er hätte es nie zugegeben, aber die erst vor Kurzem aufgegebene Aussicht auf die mit dem Posten eines Abteilungsleiters verbundene Macht war schon etwas, woran ihm gelegen gewesen war. Zumindest war es gut fürs Ego.
»Du hast mir noch nicht erklärt, warum man uns mehr Zeit gibt, als das normalerweise der Fall ist«, sagte Kamp einer spontanen Eingebung folgend.
Gregor kratzte sich am Kopf. »Hab mich schon gefragt, wann du anfangen würdest nachzuhaken.«
Er sah Kamp an, nicht so durchdringend wie sonst, sondern eher in freundschaftlicher Verbundenheit.
»Ich weiß etwas über dich. Hab es in der Zelle erfahren. Bevor du anfängst mich zu löchern, ich darf darüber nicht sprechen. Wenn mich nicht alles täuscht, kriegst du einen Teil der Antwort aus eigener Kraft zusammen, so wie die Antwort auf die Frage mit den Türen. Was den Rest betrifft, wirst du dich überraschen lassen müssen.«
Gregor widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Inhalt seines Glases. Kamp starrte ihn weiter an.
»Ist es mir vorherbestimmt, ein Bote zu werden?«
Gregor grinste.
»Ich würde mich sehr freuen, wenn ich mein Handwerk dann bei jemandem wie dir erlernen dürfte.«
Der Bote grinste noch etwas breiter und ließ lautstark schlürfend ein paar Kubikzentimeter Kölsch in seinem Rachen verschwinden.
Das Aufstehen am nächsten Morgen verschob sich nach hinten. Gregor hatte sich am Abend zuvor noch sehr intensiv mit dem Thema »vergorener Gerstensaft« auseinandergesetzt und musste so, zusätzlich zu seiner Grundmüdigkeit, auch noch einen Rausch ausschlafen. Kamp nutzte die Zeit, um noch mal in Ruhe über alles nachzudenken, was seinen Fall betraf.
Eine herausragende und erschreckende Erkenntnis war, wie schnell er sich daran gewöhnt hatte, tot zu sein. Er betrachtete sein Leben als Mensch bereits als etwas, das weit zurücklag, wie ein Großvater, der seinen Enkel dabei beobachtet, wie er in Bäumen rumkraxelt, und sich vage daran erinnert, dies in der eigenen Jugend auch mal getan zu haben. Dabei war es noch nicht mal zwei Wochen her, dass er sein Leben verloren hatte. Der einzige beständig gegenwärtige Aspekt aus seinem früheren Leben war die Gewissheit, dass ihm Gewalt angetan worden war und er sich dafür rächen wollte.
Nach einem kargen Frühstück, Kamp hatte keinen Hunger und Gregor noch weitaus ernsthaftere Probleme, mussten sie sich beeilen, um nicht zu spät bei Tibbe zu erscheinen. Wenn es etwas gab, das Kamp wirklich verabscheute, dann war es Unpünktlichkeit. Er sah keinen Grund, nach seinem Tod mit dieser Unart anzufangen, selbst als Hund nicht.
Sie fuhren, wie schon am Vortag, mit dem Bus. Gregor hatte sich vorgenommen, seine nächste Autofahrt erst wieder an einem anderen Ort als Köln zu unternehmen. Er fuhr einfach zu gern, um es sich von den anarchischen Verhältnissen auf den Straßen der Rheinmetropole langfristig verderben zu lassen.
»Meinst du, es wird einen sehr schlechten Eindruck machen, dass ich eine Fahne habe?«
Kamp sah einigermaßen überrascht zu Gregor hin. »Dass ausgerechnet du dir Gedanken darüber machst? Pit ist selber einer, der nichts anbrennen lässt, wenn es sich ergibt. Außer vielleicht einem dummen Spruch hast du nichts zu befürchten.«
Gregor nickte und schloss die Augen. »Sag mir bitte rechtzeitig Bescheid, bevor wir aussteigen müssen.«
Mit fünfminütiger Verspätung betätigte der Vergeltungsbote die Klingel von Tibbes Wohnung. Gregor blendete den Kopfschmerz aus und versuchte sich an einem normalen Gesicht, während Kamp neben ihm Sitz machte, an ihm hochsah und sich eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen konnte. Er wusste sehr genau, warum er dem Alkohol nie zugetan gewesen war.
Sie hörten schlurfende Schritte, und Peter Tibbe öffnete die Tür, erneut ohne sich zu vergewissern, wer Einlass begehrte.
Gregor und Kamp betraten die Wohnung und warfen einen Blick auf Tibbe, während er wortlos und schniefend die Tür hinter ihnen schloss. Offenbar war Tibbes Erkältung über Nacht schlimmer geworden. Die Gefahr, dass er sich von Gregors Ausdünstungen belästigt fühlen könnte, bestand ganz eindeutig nicht. Selbst wenn Gregor sich die Achselhöhlen mit Kuhmist statt mit Deo eingerieben hätte – er hatte weder das eine noch das andere verwendet – Tibbe hätte es nicht gerochen.
Kamps Freund war, wie schon am Vortag, nur mit einem Bademantel und ein paar Badeschlappen bekleidet. Ohne ein Wort zu sagen, schlurfte er in Richtung Couch, und mit
Weitere Kostenlose Bücher