Bote ins Jenseits
Aggregatzustandes in Gegenwart von Menschen nicht durchführen. Aber irgendetwas sagte Gregor, dass der Kerl es niemandem erzählen würde, ebenso wenig, wie er erzählen würde, dass er vor einem nackten Mann davongelaufen war, dessen Wundheilung ein wenig schneller erfolgte als beim Rest der Menschheit.
Im Grunde hätte er Bindernagel diese letzte Attacke auf den traurigen Rest seines Verstandes auch ersparen können, aber er hatte nun mal nichts an und keine Lust weiter zu frieren. Sich irgendwo nackt absetzen zu lassen war auch nicht der wahre Jakob.
Also blieb er einfach sitzen, wo er war, musste nicht frieren, weil er luzide war, und musste nicht laufen, weil Bindernagel ihn – nachdem er mit Hilfe seines Schraubenziehers den Auspuff von Gregors Dreck befreit hatte – chauffierte. Bindernagel blieb während der Fahrt bemerkenswert ruhig, sodass Gregor schon mutmaßte, vielleicht doch noch nicht dick genug aufgetragen zu haben. Der Bindernagel, der früher am Tag aufgebrochen war, um den Kinderwagen abzuholen, war jedenfalls deutlich nervöser gewesen.
Das komische Element an Bindernagels Zieladresse war indes nicht zu verleugnen. Er fuhr nicht etwa nach Hause, so wie Gregor es eigentlich erwartet hatte, sondern auf direktem Weg zum Kriminalkommissariat. Fassungslos beobachtete Gregor ihn, wie er mit seinen vollgepinkelten Hosen und ausdrucksloser Miene den Wagen in der Zufahrt direkt vor dem Präsidium abstellte und verließ, um schließlich ganz gemächlich auf den Eingang des Gebäudes zuzuschlendern.
Da sollte noch mal einer sagen, Gregor würde keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Die Krux an Bindernagels letzter Überraschungseinlage war jedoch, dass Gregor auf diese Weise einen viel längeren Rückweg bis zur Niederlassung hatte. Vom Präsidium aus waren es knappe sechzig Minuten Fußmarsch. Da es aber noch mitten in der Nacht war, machte das im Grunde auch nichts, und Gregor trabte, nachdem Bindernagel in dem Gebäude verschwunden war, mit raumgreifenden Schritten los.
Als er endlich in der Niederlassung eintraf, war es bereits halb vier. Bis auf den diensthabenden Boten schliefen alle. Gregor ließ sich von seinem Botenkollegen ein paar neue Klamotten aus der Kleiderkammer geben, damit er nicht auf sein Zimmer musste und womöglich Kamp aufweckte. Die nächsten Stunden vertrieb er sich damit, ein ausgedehntes und angenehm belangloses Schwätzchen mit dem Oberboten zu halten, sowie Unmengen an Snacks und Süßigkeiten in sich reinzustopfen. Das war genau das, was er jetzt brauchte.
Gegen acht Uhr kam Kamp endlich nach unten getrippelt. Sein flink wedelnder Schwanz verriet seine Freude über das Wiedersehen, und auch Gregor ertappte sich dabei, dass er sich auf seinen Klienten freute. Dabei war es nicht mal ein kompletter Tag, den sie ohne die Gegenwart des anderen auszuhalten gehabt hatten. Er musste den Tatsachen ins Auge sehen, sein Verhältnis zu dieser jungen Seele ging über die rein geschäftliche Beziehung hinaus. Das war zwar nicht der optimale Zustand und schon gar nicht professionell, aber Gregor genoss es trotzdem.
»Gregor! Du bist wieder da!«, kläffte Kamp fröhlich und hechelte seinen Vergeltungsboten aufgeregt an. »Wie ist es gelaufen? Hast du was bei dem Typen erreichen können?«
Gregor nickte nachdenklich und begann, ihm von den Ereignissen des vergangenen Tages zu erzählen.
Kamp vergaß vor lauter Spannung sogar sich hinzusetzen und hörte dem Boten mit schief gelegtem Kopf aufmerksam bis zum Ende seiner Ausführungen zu.
»Dann hat mich also tatsächlich dieser Blödmann auf dem Gewissen«, sagte Kamp nachdenklich und machte endlich Sitz.
»Was er wohl mit Marita gemacht hätte, wenn sie bei seinen Annäherungsversuchen weiterhin stur geblieben wäre? Da mag ich gar nicht drüber nachdenken«, schob er hinterher.
Gregor zuckte mit den Schultern. »Zerbrich dir deswegen nicht den Kopf. Die Gefahr besteht nicht mehr. Ich habe ihn ins Polizeipräsidium gehen sehen. Der wird haargenau das machen, was ich ihm aufgetragen habe. Er hat viel zu viel Angst davor, dass ich ihn wieder heimsuchen könnte.«
»Ja, Gott sei Dank! Schade, dass du nicht aus ihm rausbekommen konntest, wie er das mit meinem Tee angestellt hat.«
Gregor sah Kamp nachdenklich an. Er wusste, wohin seine nächsten Worte führen würden, aber er konnte nicht anders. Es musste sein. »Soll ich dir mal was sagen? Ich bin nicht davon überzeugt, dass er es wirklich war.«
Kamp stand auf und kniff den
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