Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
versuchten, sich an die Anweisungen des Regieassistenten zu erinnern. Erik spürte die Aufregung, die Nervosität, das fast metallische Aroma der nervlichen Anspannung. Seine Aufgabe war es, den Verfolgern auszuweichen, die Bäume und die Steine zu umfahren, sich in eine Grube hinunterzustürzen und auf der anderen Seite wieder herauszukommen, um dann noch über einen umgestürzten Baum zu springen. Es war riskant, aber sie hatten alles gut geplant. Und er musste es in einem einzigen Take schaffen, ohne Unterbrechungen.
Wenn er das Genie in die Finger kriegte, das sich die Actionszenen für diesen Film ausgedacht hatte, dann …
Erik fragte sich, warum sie überhaupt weitermachten. Die Lichtverhältnisse waren so ungünstig, dass jeder Regisseur, der noch alle Tassen im Schrank hatte, sofort abgebrochen hätte. Außerdem kam gerade Wind auf, und für eine akrobatische Aktion gab es nichts Schlimmeres als unberechenbare Rahmenbedingungen.
Er musste an einen Freund denken, den Dritten im Bunde neben Antonio und ihm. Er war der Streitschlichter unter ihnen gewesen. Der Scheitelpunkt, der im »Trio der Besten«, das gerade von der Akademie kam, jetzt fehlte. Er hieß Pedro und war im Jahr zuvor bei den Dreharbeiten einer sehr riskanten Szene auf einem Viadukt ums Leben gekommen.
Pedros Geschichte würde in den Köpfen der Nachwelt als ein entscheidendes Merkmal dieses Berufs zurückbleiben: Sosehr man sich auch an die Sicherheitsvorschriften hielt, so vorsichtig man auch war und so genau man jede Bewegung plante, es konnte immer etwas schiefgehen, und diese unkalkulierbare Variable konnte den Tod bedeuten.
Er schlug sich mit der Hand auf den Helm. Warum fiel es ihm nur so schwer, sich zu konzentrieren? Er war zerstreut, an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit. Erst Sandra, jetzt Pedro … Hindernisse, nichts als Hindernisse, die ihm sein Gehirn in den Weg stellte. Er musste sie verscheuchen, um nicht einen Fehler zu begehen, der ihn das Leben kosten könnte, wie seinen Freund. Er wollte wirklich nicht, dass das sein letzter Film war.
Der erste Wagen tauchte wie ein Phantasma hinter der Nebelwand auf, die sich zu seiner Rechten gebildet hatte. Erik zog die Bremse an und drehte zur Seite ab, wobei er die Füße auf die Pegs am Vorderrad stellte. Der Wagen sauste mit Karacho an ihm vorbei und geriet unmittelbar vor ihm ins Schleudern.
Sein Motor knurrte wie der ausgehungerte Magen einer mythologischen Bestie.
Erik wusste, dass er bei laufender Kamera keine Sekunde zu verlieren hatte. Im Kino kostete jeder unbespielte Meter Tausende von Euro, und die galt es auszunutzen. Er stürzte sich mit selbstmörderischer Geschwindigkeit den Hügel hinab, streifte ein paar umherlaufende Statisten und fuhr in die Kurve der Steine ein.
Der zweite Renault tauchte auf und zog zwei lange Staubschlangen hinter sich her. Der Fahrer wollte ihm den Weg abschneiden, um ihm die Flucht zu vereiteln, aber Erik schlängelte sich durch die kleine Anordnung von Steinen hindurch (die nicht natürlich dort stand, sondern vom künstlerischen Leitungsteam am Abend vorher aufgestellt worden war) und brachte sich in Sicherheit.
Die Stimme des Regisseurs, die dem Wahnsinn ein Ende setzen würde, war nicht zu hören. Das war übel, denn so musste er die Szene bis zum Ende durchspielen. Und dieser dichte Nebel … wo war der eigentlich so schnell hergekommen? Die Meteorologen, die von den Produzenten konsultiert worden waren, hatten versichert, es würde die ganze Woche strahlenden Sonnenschein und praktisch keinen Wind geben. Was für ein Reinfall!
Und wo zum Teufel war eigentlich Antonio?
Beide Streifenwagen waren jetzt hinter ihm her. Von außen musste das alles sehr spektakulär aussehen, dachte Erik. Die Kameras, die nach eindrucksvollen Bildern gierten, fingen garantiert eine sensationelle Choreografie ein. Ein Haufen umherspringender Fahrzeuge, die beschleunigten und bremsten und ins Schleudern gerieten, Fahrräder und ihre Verfolger, die über eine Erdpiste hüpften, ganz im Stil der Filme, die in San Francisco auf der berühmten Market Street, der »Achterbahn der Straßenbahnen«, gedreht wurden, nur dass sie hier eine riesige Staubwolke aufwirbelten.
Steve McQueen, du sollst vor Neid erblassen!
Einer der Wagen war drauf und dran, ihm den Weg abzuschneiden, als plötzlich grüne Blitze den Abhang beleuchteten. Sie kamen von oben, aus der Mitte des Wolkenstrudels. Erik war eine entscheidende Sekunde lang abgelenkt: Er blickte nach
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