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Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Titel: Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Víctor Conde
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lenkte ihn ab. Er sollte diese Bilder schleunigst aus seinem Gehirn verbannen, um zu vermeiden, dass sie ihn im entscheidenden Moment wie riesige Neonschilder blendeten.
    Aber wie sollte das gehen, wo er doch wusste, dass sie ihm gerade zusah, dass sie gerade zu ihren Kolleginnen sagte, wie gut doch ihr neuer Freund mit dem gepolsterten Cross-Anzug aussah? Mit diesen Schulterpolstern, der Spezialweste, den Stiefeln …
    Verdammt! Husch! Weg mit euch ins Hinterstübchen! Und ein Vorhängeschloss dran!
    Der Take würde nicht lange dauern, nur ein paar Sekunden. Die Polizeiwagen würden ein paar gefährliche Abhänge hinunterrasen und wenige Meter von ihnen entfernt ins Schleudern geraten. Erik und Antonio, die als Double für die Hauptdarsteller arbeiteten, mussten den Autos ausweichen und sich ihren Weg durch den dichten Wald bahnen.
    Ein Kinderspiel.
    Er holte die Halskette unter dem Overall hervor und küsste sie. Die kleine vergoldete Muschel mit den Initialen J.T. in der Perle war das einzige Erinnerungsstück an seine Mutter, das ihm geblieben war, und an ihr hing er mehr als an jedem anderen Gegenstand auf der Welt. Sie zu küssen, brachte ihm Glück, zumindest glaubte er das.
    Die Motoren der Renaults brüllten auf. Sie waren eigens für den Zweck frisiert worden, und schon ein Tritt aufs Gaspedal reichte aus, dass die Auspuffrohre vibrierten. »Und … Action!«, ertönte es aus dem Lautsprecher, und der Wahnsinn begann.
    Das Fahrzeug, das Tanya unbekümmert einen »Überlandbus« genannt hatte, ratterte und hüpfte und neigte sich so ruckartig von einer Seite zur anderen, dass sogar Ninive in ihrer Geistergestalt kurz davor war, sich zu übergeben.
    Tanya hatte wie versprochen von ihrer irdischen Magie Gebrauch gemacht und mit einem Teil des Geldes, das sie aus der Ladenkasse entwendet hatte, für Séfora und sich selbst eine Fahrkarte gelöst. Dann hatte sie sich in eine der hinteren Sitzreihen fallen lassen und war praktisch im selben Moment eingeschlafen.
    Séfora hatte sich mittlerweile gut erholt. Sobald der Infektionsherd einmal entfernt war, regenerierte sich ihr Körper mit erstaunlicher Schnelligkeit. Mit Sicherheit auf eine kulturelle Eigenheit zurückzuführen und für Séfora nicht annähernd nachzuvollziehen war die unglaubliche Fähigkeit der Menschen, in solchen Fahrzeugen einzuschlafen. Als hätte die Erde aufgehört sich zu drehen. Als wäre der ohrenbetäubende Lärm unter ihren Gesäßbacken Teil einer völlig anderen Wirklichkeit.
    Die Reise dauerte mehrere Stunden. Sie hatten zuvor schon einen Zug und zwei andere Busse genommen, die allerdings weniger bedrohlich wirkten als dieser letzte. Der Wald, in dem Ninive die Präsenz des zweiten Auserwählten gespürt hatte, lag ziemlich weit von Tanyas Heimatstadt entfernt, und Séfora beklagte insgeheim, wie lästig doch das Reisen auf dem Landweg war, wie unbequem und mühsam für jemanden, der sich so sehr an das Fliegen gewöhnt hatte, und das, obwohl sich die Technologie seit ihrer Zeit so enorm weiterentwickelt hatte.
    Sie mochte Tanya. Ihre Art, die unmittelbare Bereitschaft, ihrer Familie oder Fremden zu helfen, und, um ehrlich zu sein, auch den Mut, den sie bewiesen hatte, als sie ihr den Splitter herausgezogen hatte. Die bloße Berührung mit der dämonischen Essenz hätte sie töten können, aber Ninive hatte sie nicht gewarnt, so sicher war sie gewesen, dass Tanya zu den Auserwählten gehörte. Séfora konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen.
    Sie freute sich, am Leben zu sein, und mindestens noch einen weiteren Tag gegen die irdischen Vertreter des Widersachers kämpfen zu können. Das hatte sie allein dem Mut dieses Mädchens zu verdanken.
    Am erstaunlichsten fand sie, wie sich die Jugend der heutigen Zeit mit Modestilen und Kulturen identifizierte, die weder religiös, noch wissenschaftlich oder moralisch begründet waren. Sie waren einfach nur dem zwanzigsten Jahrhundert geschuldet, der Fantasie, der Mode, der reinen Freude am Leben. Im alten Konstantinopel wäre das undenkbar gewesen. Hätte sie sich damals als Gruselpuppe verkleidet und mit ihren Freunden auf Friedhöfen herumgetrieben, hätte man sie für verrückt erklärt und kurzerhand einsperren lassen.
    Es war einfach, den Lebenswandel von Leuten zu verurteilen, die einer anderen Zeit angehörten, die ein völlig anderes Denken hatten. Leute, die in einer Welt aufgewachsen waren, die es hundert Jahre zuvor noch gar nicht gegeben hatte und die ihre eigenen Götter

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