Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
Unzählige Kreuze krönten die Gebäude, die kaskadenförmig über die Steilküste hinunterhingen und der Ehrfurcht Ausdruck verliehen, mit der jede Familie ihre Vorfahren verehrte.
»Am besten suchen wir uns erst eine Unterkunft«, schlug Erik vor. »Bei der Masse von Touristen stehen wir am Ende noch ohne da.«
»Ach was«, sagte Tanya. »Die meisten kommen doch von den Schiffen da unten.« Sie zeigte auf den Hafen, in dem drei gewaltige zwanzigstöckige Luxus-Kreuzer lagen, umgeben von einer Flotte aus Schleppschiffen und Schaluppen, die die Leute vom Schiff ans Ufer und wieder zurück brachten.
»Stimmt. Aber ich will trotzdem nichts riskieren. Keine Ahnung, wie warm die Nächte hier sind, aber ich kann mir etwas Gemütlicheres vorstellen, als hier irgendwo auf einer Bank zu schlafen.«
Erik betrat ein malerisches Haus neben einer Windmühle.
Ein Schild über dem Eingang verkündete in lateinischer und griechischer Schrift:
PENSION ANAFI
Eine Wiege der Stille und des Friedens
Eine sanfte Melodie drang aus ein paar Lautsprechern, wahrscheinlich ein Gitarrengott wie Mike Oldfield oder Mark Knopfler, jedenfalls klang es irgendwie postmodern keltisch.
Nach einem kurzen Gespräch auf Englisch mit der Frau von der Rezeption drehte sich Erik breit grinsend zu seinen Kameradinnen um: »Wir haben ein Zimmer!«
»Hey, Erik, wie viele hast du gebucht?«, erkundigte sich Tanya, als sie die Treppen hinaufstiegen.
Erik schien darüber gar nicht nachgedacht zu haben.
»Äh … eins, wieso? Sie hatten ohnehin nur noch das.« Auf Tanyas vorwurfsvollen Blick hin fügte er hinzu: »Tut mir leid. Ich bin es so gewöhnt, während der Dreharbeiten das Zimmer mit irgendwelchen Leuten zu teilen, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, dass es dich stören könnte.«
»Aha. Ihr teilt euch also auch das Badezimmer, oder wie? Die große Kino-Kommune.«
»Na und? Wir sind zivilisierte Leute«, entgegnete er. »Und du bist offenbar eine verwöhnte Göre.«
»Und du ein notgeiler Bock. Du hast nicht mal drüber nachgedacht, dass ich mich dann vor dir ausziehen muss, zum Beispiel wenn ich duschen gehe«, sagte sie beleidigt.
»Wer, ich? Also, damit eins mal klar ist: Du bist nicht gerade ein Model. Wenn ich Mädchen wie dich sehen will, brauche ich nur bei mir um die Ecke ins Schwimmbad zu gehen.«
»Na dann, worauf wartest du noch? Die Nixen sind bestimmt schon ganz scharf darauf, ihren Dorf-Tarzan wiederzusehen.«
Die Menschen ändern sich nicht, so viele Jahrhunderte auch vergehen, sagte Ninive, während sie weiter die Treppe nach oben stiegen.
Séfora musste lachen. Sie war zufrieden. Bisher lief alles prima. Jetzt mussten sie nur noch den dritten Auserwählten finden, bevor der Desmodu hier auftauchte, und das war auf dieser überlaufenen Insel leichter gesagt als getan. Séfora seufzte bei dem Gedanken, wie ihr nach so vielen steilen Straßen und Gassen die Füße wehtun würden.
Wie sehr wünschte sie sich jetzt, ihre Flügel wären auf der Stelle wieder heil.
EMO
D as Nachtleben eines kleinen Dorfes, das Tausende von Touristen im Jahr aufnimmt, ist per se lebhaft. Außerdem läuft es geordneter ab als in anderen Gegenden. Tanya spürte in allen Ecken die Anwesenheit der Polizei, die aufpasste, dass niemand allzu sehr aus sich herausging. Ihrem wachsamen Blick schien keine Regung zu entgehen, und die Brauen der Polizisten hoben sich schon beim kleinsten Anzeichen jeglicher Aktivität, die nicht nur die Umgebung, sondern auch den Touristen in irgendeiner Weise beeinträchtigen könnte.
Ihr machte das nichts aus. Einmal hatte sie mit ihren Eltern Pläne geschmiedet, alles Geld zusammenzukratzen, um eine Reise nach Ägypten zu machen. Eine Nilkreuzfahrt war ihr Wunschtraum. Natürlich konnte sich eine Untere-Mittelklasse-Familie wie ihre ein Komplettpaket, wo sie einem jeden Wunsch von den Augen ablasen und einen überallhin kutschierten, nur sehr schwer leisten, aber Tanya hoffte darauf, ein Jahr früher an die Uni gehen zu können und daher auch eher mit dem Studium fertig zu sein. Sobald sie ein angemessenes Gehalt bekäme (Ärztin? Ach, dafür war sie viel zu zimperlich. Oder Anwältin? Nein, es musste etwas weniger Kompliziertes sein), würde sie ihre Eltern auf all die Reisen mitnehmen, von denen sie bisher nur geträumt hatten.
Sie musste an den Nil denken. Ein Freund hatte ihr einmal erzählt, dass sie dort eine extra Polizei für Touristen hatten, um die Sehenswürdigkeiten und ihre Besucher vor den
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