Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
ihre Füße in ein Paar neue Schuhe gezwängt, was ihr überhaupt nicht behagte.
Die Stimme des Geistes hallte in den Köpfen der drei wider, ohne dass Séfora den Spiegel hervorholen musste.
Die Nähe erlaubt mir, seine Präsenz deutlicher zu spüren. Er ist hier, im Dorf, aber ich kann ihn noch nicht hundertprozentig lokalisieren.
»Merkst du noch etwas anderes, irgendeine empathische Geste?«, erkundigte sich Séfora.
»Wieso emphatisch, was meinst du damit?«, fragte Erik.
»Empathisch. Die Gefühle sind eng mit den Seelen der Menschen verbunden. Die Liebe, der Hass, die Einsamkeit, der Zweifel … alle diese Gefühle bilden eine Aura, die euch umgibt und die lesbar ist.«
»Ah. Und die Armut, erzeugt die auch eine Aura? Wir dürften sie praktisch über Funk aussenden.«
Tanya verpasste ihm unter dem Tisch einen Stoß mit dem Ellbogen.
Erik setzte ein gelangweiltes Gesicht auf und spähte durch die Dosenöffnung in der Hoffnung, noch einen letzten Tropfen vorzufinden.
Ninive fuhr fort: Ich lese viele Auren im Wind. In seinem direkten Umfeld sind sie … wie seltsam.
»Was ist los?«
… ziemlich düster.
Séfora zog die Brauen zusammen.
»Düster?«
Traurig. Ich spüre Apathie, Enttäuschung gegenüber dem Leben und keine Hoffnung für die Zukunft. Traurigkeit. Schmerz. Ausweglosigkeit. Die Gefühle sind das einzige Licht, das dieser einsamen Seele den Weg leuchtet, das ihr den Mut gibt, immer weiter nach dem Sinn zu suchen.
»Oh nein, ein Emo «, seufzte Tanya und rieb sich die Augen.
Séfora sah sie erstaunt an. »Was meinst du damit?«
»Dieses Schema, das Ninive gerade beschrieben hat … die Apathie, die Gefühle als einzigen Lichtblick, die Traurigkeit über den Zustand der Welt … das sind die Merkmale einer urbanen Subkultur, die ich kenne. Die Emos. Sie besuchen die gleichen Klubs wie wir.«
»Sag bloß, du bist auch eine von denen!«, rief Erik amüsiert.
Tanya sah ihn grimmig an. »Na klar. Ich trage diesen Müll nur, weil ich keine andere Wahl hatte. Wenn ich könnte …«
»Jetzt streitet euch doch nicht«, schritt Séfora ein. »Tanya, erzähl uns ein bisschen mehr über diese Emos.«
Tanya kippelte mit dem Stuhl. »Die Emos sind depressive, schwermütige Leute. Melancholische Jugendliche, die immer einen Grund finden, wegen irgendwas frustriert zu sein. Zumindest sind mir bis jetzt nur solche begegnet.« Sie stieß einen Seufzer aus und betrachtete das bunte Treiben, das sich vor ihren Augen abspielte. »Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass wir ihn hier antreffen. Ein Emo meidet jede Form von Heiterkeit und zieht sich an düstere, bedrückende Orte zurück. Das Gruppenverhalten an sich ist nichts für ihn.«
»Dann ist er hier sowieso völlig falsch«, sagte Erik. »In existenzieller wie in geografischer Hinsicht.«
»Meinst du?« Tanya beugte sich über das Geländer der Terrasse. Das Dorf mit seinen Kirchen und oktogonalen Kapellen und unzähligen Kreuzen hing scheinbar furchtlos über der Steilküste. Mit seinen makellosen Wänden und glitzernden Lichtern erinnerte es an eine Totenstadt. »Ich würde sagen, dieses Dorf ist die perfekte Kulisse für einen Emo. Wir werden ihn nur nicht hier oben finden, wo der Lärm ist. Wir müssen weiter unten nach ihm suchen.«
»Also, dann los«, entschied Séfora.
Tanya bezahlte die Rechnung und folgte den anderen in die ruhigeren Viertel des Dorfes. In den labyrinthischen Gässchen herrschte eine ganz andere Stimmung. Hier waren eine Ruhe und ein Frieden zu spüren, die vom Vulkan gegenüber auf sie abgefärbt haben mussten. Selbst der Schein der Straßenlaternen schien in dieser Gegend des Dorfes schwächer zu sein.
Er ist irgendwo hier, ich kann es deutlich spüren.
Séfora nahm den Spiegel und richtete ihn auf die Kuppeln. »Siehst du was?«
Ich nehme seine Gegenwart wahr, aber hütet euch.
Der Engel blieb stehen.
»Wieso? Was ist los?«
Die Aura des Jungen ist nicht normal. Sein metaphysischer Zustand weicht erheblich von dem üblichen ab.
»Klar«, kicherte Erik. »Er ist ja auch ein totaler Psycho.«
»Das hat damit nichts zu tun«, murmelte Séfora und bedeutete ihnen, hinter ihr zu bleiben.
Erik und Tanya blieben entgeistert stehen. In ihren Köpfen formte sich der gleiche Gedanke. Hatte der Desmodu sie etwa so schnell gefunden?
Dann gingen sie langsam weiter. Ninive führte sie durch menschenleere Gassen und fremde Hinterhöfe, die eigentlich die Dächer der darunter liegenden Häuser waren. Dass sie dabei
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