Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
in der Mitte und eine oben. Die oberste bildete den Abschluss der Fassade. Tanya fühlte sich an einen Tempel erinnert, den sie einmal in Navarra gesehen hatte, nur dass jener aus makellos weißem Marmor gemeißelt war.
Ein Schild verkündete in Großbuchstaben:
PROFITIS ILIAS
Die Schrift wirkte schwarz im Kontrast zum gleißenden Weiß des Putzes.
Die jungen Leute gähnten. Séfora hatte sie früh geweckt, damit sie gleich den ersten Bus nehmen konnten. Ein Touristenbus fuhr regelmäßig von Imerovigli in Richtung Strand, und auf dem Weg hielt er meistens auch an dieser Kirche.
Erik hatte Bedenken über die Anwesenheit von Schaulustigen geäußert, aber Séfora versicherte ihnen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten. Und genau so war es. Tatsächlich kam in der ganzen Zeit, die sie vor der Kirche verbrachten, kein einziger Tourist vorbei.
»Also gut, jetzt sind wir alle hier. Die fabelhaften Drei! Und wie geht es jetzt weiter?«, erkundigte sich Erik nuschelnd. Es war nicht zu übersehen, dass ihm ein paar Stunden Schlaf fehlten.
Sie hatten sich im Kreis aufgestellt, und Tanya zählte die Anwesenden durch. Sie waren zu sechst, die unsichtbare Ninive eingeschlossen. Mauro hatte eingewilligt, sie zu begleiten, wenn er sich nicht von Rhea trennen musste. Von allen Auserwählten war der Emo der einzige, dem man nichts erklären musste, der die Geschehnisse als naturgegeben und ihm zugehörig verstand.
Rhea, die sich in ständigem Körperkontakt mit Mauro befand, beobachtete alles stillschweigend. Séfora war es eigentlich nicht recht, Zuschauer von außen zu haben, aber da das Mädchen weder etwas von sich gab noch etwas tat, hätte man sie genauso gut mit einem Möbelstück verwechseln können.
Séfora trat vor und setzte sich in die Kreismitte. Sie hielt den Blick auf den Boden gerichtet, auf eine Fläche ohne Vegetation am Rande des Abhangs. In der Ferne, Richtung Süden, zeichnete sich hinter einem Meeresarm ein diffuser länglicher Schatten ab: Kreta.
»Der erste Teil meiner Mission ist erfüllt. Ich habe euch drei hier bei mir, und das ist ehrlich gesagt schon mehr als ich erwartet hatte.« Sie wog den Spiegel in der Hand. Mit der Bewegung entlockte sie der Sonne winzige Tränen. »Es ist höchste Zeit, dass ich mich mit meinem Meister in Verbindung setze, um eine spirituelle Leitung zur anderen Seite zu legen, aber zuerst werden wir mit den Unterweisungen beginnen.« Sie blickte einem nach dem anderen fest in die Augen. »Ich weiß, was ich von euch verlange, ist nicht leicht, es ist nicht einmal gerecht. Ihr seid die Auserwählten, weil die Großen Mächte im Augenblick eurer Geburt auf euch zeigten. Würde ich versuchen, es euch zu erklären, müsste ich lügen. Denn ich kenne die Gründe nicht, die zu eurer Wahl geführt haben. Aber nun, da ihr einmal hier seid, als das, was ihr seid, als unser Prüfstein, der den Krieg für uns entscheiden soll: ein herzliches Willkommen!«
»Eine gelungene Ansprache«, meinte Erik anerkennend und ließ sich rückwärts ins Gras fallen. »Ich wollte dir gerade sagen, dass ich Moses würdig bin, aber angesichts der Umgebung, in der wir uns befinden, ersetze ich ihn durch Minos«.
»Der erste Teil unseres Trainings besteht in der Kommunion«, erklärte Séfora weiter und versuchte, Eriks Albernheiten zu ignorieren. »Was ihr Menschen symbolisch während der Gottesdienste feiert, dieses Symbol der Vereinigung mit dem Göttlichen, ist für uns etwas Reales und Mächtiges. Einen Augenblick lang werden wir vier mit uns selbst und der Präsenz verschmelzen, auf geistiger wie auch auf spiritueller Ebene. Dadurch werden wir mehr über unsere Seele und die Welt erfahren, die uns umgibt.«
»Wir vier verschmelzen?«, fragte Tanya. »Auf geistiger Ebene? So wie in einem Science-Fiction-Film?«
»In etwa so.« Séfora setzte sich in den Lotussitz. »Ihr könnt ganz entspannt sein, es wird euch nichts passieren. Ihr werdet kurz die Gedanken der anderen berühren, und vielleicht seht ihr in einem von euch etwas, das derjenige gern geheim halten würde. Ich vertraue also auf eure Diskretion. Immerhin seid ihr erwachsene Menschen.«
Die Auserwählten sahen einander an. Die Aufregung war ihnen deutlich anzumerken. Dabei hatten sie weniger ein Problem mit dem Experiment an sich, als mit der Vorstellung, ihr Gedächtnis für alle sichtbar auf einer beliebigen Seite aufzuschlagen, ohne zu wissen, was diese enthielt.
»Außerdem wird man euch ein Geschenk machen«, fügte
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