Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
in einer Freiluft-Disco. Außer zwei langen Tresen, an denen sich Massen von Leuten drängten, und ein paar Lichtorgeln, die im Rhythmus der Musik aufleuchteten, hatte der Besitzer des Lokals eine große weiße Leinwand aufgestellt, auf der ein Film gezeigt wurde, dessen Ton jedoch, sofern es einen gab, nicht mit dem Sound der DJs mithalten konnte.
Er musste an das Schild über dem Eingang ihrer Pension denken, »Eine Wiege der Stille und des Friedens«, und kicherte in sich hinein.
Der Film war nichts Besonderes. Irgendein europäischer Gangsterstreifen. Erik sah ihn sich trotzdem eine Weile an, bis er sich plötzlich an eine Situation erinnerte, die er während der Dreharbeiten erlebt hatte. Er musste lachen und vergaß sogar für einen kurzen Moment die Tragödie, in die er verwickelt war, Antonios Tod und alles andere, das damit einherging.
Sie waren in einem Schneideraum. Die Produzenten gingen mit ihm und Antonio die Aufnahmen des Drehtags durch, um zu sehen, was sie in den nächsten Sequenzen verbessern könnten. Ein muskulöser breitschultriger Killertyp hatte gerade ein gewaltiges Maschinengewehr in Anschlag gebracht und massakrierte damit erbarmungslos eine Horde Feinde (Erik glaubte nicht, dass es in echt solche Brutalowaffen gab, mit so vielen Läufen und kleinen Lichtern und Zubehörteilen, die zu nichts gut waren, außer Eindruck zu schinden).
Der Schauspieler setzte sein Psychopathen-Gesicht auf, dass man es mit der Angst zu tun bekam. Dann sagte er: »Das kommt davon, ihr Kommunistenschweine, verdammte!«
Einer der Produzenten wies seinen Kollegen darauf hin, dass das politisch nicht ganz korrekt sei. Der Film solle auch in Russland und China verkauft werden, den großen aufstrebenden Märkten, und Sätze dieser Art seien da einfach nicht drin. Also legten sie dem Killer spontan etwas anderes in den Mund.
Der Schauspieler setzte sein Psychopathen-Gesicht auf, dass man es mit der Angst zu tun bekam. Dann sagte er: »Das kommt davon, ihr Terroristenschweine, verdammte!«
Diesmal war der andere Produzent unzufrieden. Es gab schon so viele Filme über Terroristen, und wenn sie auch im realen Leben ihren Schrecken nicht eingebüßt hatten, so hatten sie im Kino ihren Status als Fünfsterne-Bösewichte längst verloren. Sie legten noch eine weitere Version darüber.
Der Schauspieler setzte sein Psychopathen-Gesicht auf, dass man es mit der Angst zu tun bekam. Dann sagte er: »Das kommt davon, ihr Galeristenschweine, verdammte!«
»Galeristen?«, wunderte sich der Chef der Produktionsfirma.
»Meine Ex-Frau war mit einem zusammen, als wir uns trennten«, brummte der andere. »Alles Arschlöcher.«
Erik hatte sich drei Tage lang fast nicht mehr eingekriegt vor Lachen.
Es tat gut, mal wieder zu lachen. Sich an die gute alte Zeit zu erinnern. An Antonio und seine Krebs-Witze, und an die lustigen (weil absurden) Ausreden, die er sich jedes Mal einfallen ließ, wenn er zu spät zum Set kam, was praktisch immer der Fall war.
Das alles gehörte längst der Vergangenheit an.
Erik schüttelte traurig den Kopf. Er lehnte sich an eine Hauswand und bewunderte das nächtliche Treiben, die Ausgelassenheit, mit der sich die Tänzer unter dem silbernen Lichtkegel der Leinwand bewegten. In einem kleinen Laden hatte er zu einem fairen Preis eine Dose griechisches Bier erstanden und fragte sich, ob ihm eine karitative Seele wohl ein paar Eiswürfel borgen würde.
Dann hörte er die Uhren. Dutzende Exemplare, aus Porzellan, Kuckucksuhren, elektronische, Spieldosen und Summer, Wasseruhren und Winduhren, zum Aufziehen und mit Batterie … schlugen und schrien, läuteten und feierten Mitternacht, leicht asynchron, sodass ihr Klang den Effekt eines musikalischen Wasserfalls hatte.
Als der Schall verebbt war, hörte Erik hinter sich eine Stimme: »Die Uhrenläden hier machen mit Vorliebe auf sich aufmerksam, wenn ihre Besitzer nicht da sind. Ganz schön gerissen, was?«
Erik wandte sich um und sah eine dunkelhäutige Schönheit mit großen Augen und schwarzen Locken auf sich zukommen. In der Hand hielt sie ein halb volles Glas Martini. Mit ihrem länglichen, spitz zulaufenden Gesicht sah sie eindeutig griechisch aus, und die orientalisch anmutenden Wimpern verliehen ihr eine seltene und exotische Schönheit.
Erik räusperte sich. »Ähm … ja, sieht so aus.« Sein Verstand schlug Alarm, als er merkte, dass er Griechisch mit ihr sprach. Allerdings war er zu sehr damit beschäftigt, dem Mädchen auf die üppigen
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