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Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Titel: Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Víctor Conde
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Séfora ernst hinzu. »Ihr werdet die einmalige Chance bekommen, an Orte zu reisen, die den Normalsterblichen versagt sind, zumindest solange sie noch mit beiden Beinen im Leben stehen. Wohin jeder von euch reisen wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich passe nur auf, dass ihr wieder zurückkommt.«
    Sie brauchten sich weder an den Händen zu fassen, noch zu singen, noch sonst etwas in der Richtung zu tun. Sie mussten nur die Augen schließen und sich darauf konzentrieren, den göttlichen Funken zu finden, den sie in sich trugen.
    Tanya hatte keine Ahnung, wo sie anfangen sollte, diesen Funken zu suchen, also traf sie eine Entscheidung: Wenn diese Methode so metaphysisch war, würde sie versuchen, Kraft aus der Liebe zu schöpfen, die sie für ihre Eltern empfand, für ihre Katze, ihre Bücher, all die kleinen und großen Dinge, die alle zusammen ein Leben ausmachten, das sie ganz einfach mit »Tanya« betitelte.
    Es fiel ihr nicht schwer, an all das zu denken und sich gut zu fühlen. Im Laufe ihres jungen Lebens hatte sie immer wieder Menschen kennengelernt, die sich damit rühmten, besonders frei und unabhängig zu sein, die behaupteten, ohne Liebe und Zuneigung auszukommen. Leute, die angeblich nichts und niemandem bedurften, um glücklich zu sein. Sie war nicht so. Sie wollte sich nicht nur über ihr Äußeres oder über die Gedanken definieren, die sie Jahr für Jahr in ihrem Kopf ansammelte, während sie lernte, die Welt immer besser zu verstehen. Nein. Sie definierte sich auch über die Menschen, die ihr nahe waren, über ihr Verhältnis zu ihnen und darüber, wie diese Beziehung ihr tägliches Leben beeinflusste.
    Ohne es zu merken, war Tanya plötzlich dort, auf der anderen Seite. Als sie die Augen ihres Herzens aufschlug, stellte sie erstaunt fest, dass sie nicht mehr auf Santorin, im Süden der Kykladen, auf dem Planeten Erde war, sondern an einem Ort, der einem Traum entsprungen schien.
    Hier gab es Pferde in chinesischen Lampen. Gigantische Pferde aus Holz erhoben sich in ruhmreichen Posen im Innern riesiger Papierlampen von mehreren Hundert Metern Höhe. Die Kolosse, die im Wind hin und her wiegten, als wären sie federleicht, schwebten in einem Meer goldenen Lichts, mehrfarbig dort, wo sich seine Wellen an den Klippen der Zeit brachen. Von Zeit zu Zeit prallte eine Lampe gegen eine der Klippen, und dann war es, als stürze ein riesiges Kartenhaus einfach in sich zusammen, aber lautlos, nur durch Formen, Bewegungen, Erinnerungen, die zu Asche verbrannt waren.
    Tanya fragte sich, ob das, was sie da sah, die Pforten des Himmels waren.
    »Ja, das ist einer der Eingänge«, sagte eine Stimme, die einer alten, sehr weisen Frau gehören musste. Die Gestalt Ninives tauchte neben ihr auf, nur dass sie nicht mehr alt, sondern ein Mädchen in Tanyas Alter war. Die Stimme aber war die einer steinalten Greisin. »Es gibt noch viel mehr. Die gewaltigen Pferde dort sind menschliche Seelen.«
    Tanyas Herz drohte vor Freude überzuströmen. Der Himmel, es gab ihn wirklich!
    »Aber … wenn es Seelen sind«, wunderte sie sich. »Warum zerschellen sie?«
    »Was du siehst, sind die Essenzen lebender Personen, meine Kleine. So segeln sie durch das stürmische Meer des Lebens, und stößt eine an eine Klippe, stirbt der Körper, und das Pferd ist endlich wieder frei. Es darf wieder galoppieren.«
    »Moment! Hier passt etwas nicht zusammen«, warf Tanya ein. »In meiner Kindheit brachten sie mir bei, dass wir unsere Seele im Körper tragen oder zumindest in unmittelbarer Nähe von ihm. Aber wenn du jetzt sagst, dass sie sich eigentlich gar nicht von den Pforten des Himmels entfernen, nicht einmal für die Zeit, in der wir leben …«
    »Es gibt so viele Dinge, die ihr Menschen noch nicht wisst, nicht einmal diejenigen unter euch, die sich ›Propheten‹ nennen. Ganze Kontinente voller Bücher wären nötig, um euch das alles auch nur ansatzweise zu erklären.«
    »Wahnsinn …«
    Tanya begleitete die junge alte Frau an den Klippen vorbei in einen Wald von umgekehrten Säulen. Sie begriff, dass es die Bögen einer riesigen Kathedrale waren, die jemand einfach auf den Kopf gestellt haben musste wie ein Spielzeug.
    Sie spazierten durch die Gänge, hüpften über die Deckenrippen des Gewölbes und wagten es, Kapitelle zu erklimmen, die gewaltige, energetische Bilder der Stunde null zeigten, als das Universum erschaffen wurde. Der Urknall, reduziert auf riesige Retabel aus Stein.
    »Es ist wunderschön«, murmelte Tanya.

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