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Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Titel: Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Víctor Conde
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»Es ist überhaupt nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe, aber es gefällt mir sehr.«
    Eine Seifenblase mit Bildern tauchte plötzlich vor ihr aus dem Boden auf. Sie zerstach sie mit der Fingerspitze, und Figuren aus Licht strömten heraus … um ihr Szenen ihres eigenen Lebens zu zeigen. Momente, die seinerzeit bedeutend gewesen waren, die sie aber längst vergessen geglaubt hatte: Das Flackern der Kerze, die sie an ihrem ersten Geburtstag ausblies. Das Lachen der anderen Kinder beim Geschenkeauspacken. Die panische Angst, als sich der Hund von der Leine losriss. Die Textur und der Geruch des Vinyls im neuen Auto ihres Vaters. Die kitzelnden Finger der Großmutter auf ihrem Bauch, als sie gerade einmal zwei Monate alt war. Das Gefühl, unendlich klein zu sein, als sie zum ersten Mal einen Wolkenkratzer sah.
    Ninive ging neben ihr, während sie durch ihre Erinnerungen spazierte. Bis die Seifenblase plötzlich wieder fest wurde und die Erinnerungen darin eingesperrt blieben. Tanya spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Das alles … hatte ich vergessen«, schluchzte sie. »Und dabei ist es so wichtig, jede Sekunde, jedes Erlebnis, alles ist so … entscheidend. Wie konnte ich es nur vergessen haben? Wie?«
    »Was wir zurücklassen, aufgehäuft an den Wegbiegungen, wiegt schwerer als das, was wir mit uns herumtragen«, sagte Ninive mit einem Lächeln. »Das ist eine große Wahrheit. Aber keine Sorge, eines Tages wirst du dich wieder an alles erinnern, selbst an das winzigste Detail, und dann kannst du selbst entscheiden, was wichtig ist und was nicht.«
    »Ich will es aber jetzt! Wo es doch …«
    »Nein, dein Geist ist noch nicht bereit. Aber du musst in der Vergangenheit forschen, dort, wo nur du hingelangst: in dem exakten Augenblick, als du empfangen wurdest. Als du aufgehört hast, eine Möglichkeit zu sein, um dich in eine Gewissheit zu verwandeln. In jenem fernen Augenblick verband sich eine uralte Kraft mit deiner Seele.«
    Ein Säulenkapitell blühte wie eine steinerne Tulpe. Aus ihrem Innern sprudelten Bilder und Erinnerungen hervor, die ersten Empfindungen, die wie Luft durch das Gehirn waberten, weil sie noch nicht gespeichert werden konnten. Tanya waren sie trotzdem vertraut, so unglaublich das schien: Anflüge von Empfindungen, die sie als Fötus hatte, als sie noch kein definiertes Nervensystem hatte. Hitzestöße, Liebkosungen chemischer Verbindungen, Aromen der Schwerkraft und der Bewegung.
    Die ferne, dröhnende Stimme ihrer Mutter. Das Hämmern dieses kleinen Herzens, das den Rhythmus des Universums vorgab.
    Und vor allem, die Macht.
    Tanya erinnerte sich mit Tränen in den Augen an die erste Empfindung ihres Lebens. Die Ankunft der göttlichen Macht, den kosmischen Puls, der älter war als die Zeit. Den Kuss jener Wesen, die schon vor dem Urknall da waren und einen kleinen Teil ihrer Hoheit an sie weitergaben, so wie sie, Tanya, selbst ihre Gedanken unzählige Male auf ein Blatt Papier ausgeschüttet hatte, damit sie nicht verloren gingen.
    Sie war das Gedicht, das die unsichtbaren ewigen Federn über die Welt verfassten.
    »Das bin ich?«, fragte sie. Sie versuchte es zu begreifen.
    »Du bist, was du bist. Und noch viel mehr«, pflichtete Ninive ihr bei. »Der Engelanteil, den du in dir trägst, ist dabei, wiedergeboren zu werden. Wie empfängst du ihn, Tanya? Was wirst du mit dieser unermesslichen Macht anstellen, wenn du sie zu deiner Verfügung hast?«
    Tanya musste nicht lange überlegen. »Ich … es ist nicht mein Wunsch, das Schwert zu schwingen. Kürzlich hatte ich einen Traum. Ich hielt eine Waffe in der Hand und warf sie fort. Weit fort. Damit sie weder mir noch einem andern Schaden zufügen konnte. Ich möchte behandeln, pflegen, heilen … Ich will das Licht in der Dunkelheit sein, die warme Hand an der Wange, nicht das Messer, das in der Nacht zusticht.«
    Ninive nickte zufrieden. »Das kommt daher, dass du eine Heilerin bist. Ein Engel des Friedens.«
    »Eine Heilerin?«
    »Dein Wesen verkörpert die reinen Werte des Himmels: das Heil, die Liebe, die Güte, die Harmonie. Du bist dazu geboren. Das ist deine Bestimmung. Und im Grunde deines Herzens weißt du, dass du diese Tugenden in dir finden wirst, sobald du dich verwandelt hast. Sobald du dich in eine höhere, komplexere Sphäre fortentwickelt hast.«
    Tanya strich mit der Hand über eine der riesigen Marmorsäulen. Sie fühlte sich unerwartet weich an, als wäre sie aus Samt gemeißelt.
    »Eine

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