Bottini, Oliver - Louise Boni 01
Windes, im Hintergrund hustete Lederle. Sie schienen draußen zu stehen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie erst die beiden, dann sah sie den Mönch und sich selbst, sie saßen auf dem schneefreien Streifen Waldboden. Dann gingen sie weiter, dann hockten sie in dem Hohlraum, im Zwischenreich. Es dauerte einen Moment, bis ihr bewusst wurde, dass sie und der Mönch sich miteinander unter-hielten.
Alles unverändert, berichtete Hollerer, der Mönch stapfte durch den Schnee, sonst war niemand zu sehen.
«Mensch, setzt euch doch in den Wagen», sagte sie.
«Wollten uns kurz die Füße vertreten. Und Niksch, benimmt er sich?»
«Natürlich.»
«Niksch ist kein Stadtmensch, er ist ein Trampel vom Land», sagte Hollerer. «In der Stadt verirrt er sich, passen Sie auf, dass er mir nicht verloren geht.»
Sie legten auf.
«Hast du verstanden, worum es geht, Luis?», fragte Bermann geduldig. «Hast du verstanden, dass es jetzt Ernst wird?»
«Später, Rolf, ja? Wir haben keine Zeit.» Während sie berichtete, was geschehen und was nicht geschehen war, schenkte sie Kaffee in ihren Becher ein. Zufrieden registrierte sie, dass ihre Hand nicht zitterte.
Bermann hatte ihr den Becher geschenkt. Darauf stand: Auch die beste Sekretärin braucht mal eine Pause.
Sie drehte ihn in den Händen und starrte auf den Spruch, um Bermann nicht ansehen zu müssen. Warum hatte sie den Becher behalten? Warum benutzte sie ihn fast jeden Tag? Um Bermann nicht Genugtu-ung darüber zu bereiten, dass sie seinen Kleinkrieg annahm? Nettes Gelb, hatte sie gesagt, während sie überlegt hatte, ob sie den Becher an seinem oder an ihrem Schädel zerschmettern sollte. Sonnenaufgangs-gelb.
Vor der Tür brach Niksch in ein unterdrücktes Niesen aus.
«Wir brauchen vier bis sechs Streifenwagen», sagte sie, «einen Japanisch-Dolmetscher, einen Hubschrauber.» Ihre Stimme klang hektisch, und Bermann schien es zu bemerken, denn er senkte den Blick und runzelte nachdenklich die Brauen. Sie trank einen Schluck, wartete.
Bermann sah wieder auf. «Luis», sagte er, «be-greifst du, dass es Ernst wird?»
«Du wiederholst dich.»
«Komm, setz dich zu mir.»
«Hast du Angst, dass ich ausflippe?»
«Lass uns reden , Luis.»
«Reden», sagte sie. «Aus deinem Mund klingt das, als wäre es was Perverses.»
«Ich möchte nur eine Lösung finden, Luis.»
Sie ging zu ihrem Schreibtisch und setzte sich.
Bermann nickte, aber er war plötzlich angespannt. Für einen Moment schien er nicht weiterzuwissen.
Draußen stand Niksch und rührte sich nicht. Obwohl sie wusste, dass er es war, beunruhigte sie der hohe Schatten vor der Tür. Er weckte in ihr die Asso-ziation, dass draußen etwas Dunkles, Bedrohliches darauf wartete einzutreten.
Bermann beobachtete sie. Er schien zu spüren, dass sie den Ernst der Lage allmählich begriff.
Für Bermann war die Welt einfach: Sie bestand aus Gegensatzpaaren. Er nannte es spöttisch «das echte Yin und Yang». Es gab Polizisten und Nichtpolizisten, Männer und Frauen, Deutsche und Ausländer, Gesunde und Kranke. Bei Kombinationen hielt er sich strikt an eine Prioritätenliste. Ganz oben auf dieser Liste stand «Polizei». Wer Polizist war, konnte noch so viele negative Eigenschaften besitzen – beispielsweise weiblich, halbtürkisch und im Mutterschutz sein –, für Bermann blieb er in erster Linie Polizist. Er gehörte zur Familie. Familienangehörige konnte man niederbrüllen, verspotten, hintergehen, verachten und bestrafen, aber letztendlich blieb man ihnen verpflich-tet: Wenn sie zusammenbrachen, kümmerte man sich um sie. Denn selbst wenn sie sich in ihren eigenen Exkrementen suhlten und nur noch Grunzlaute von sich gaben – sie waren Polizisten.
Das war eine Art Vorteil an Bermanns echtem Yin und Yang. Einer der Nachteile war, dass das Eine nicht das Andere sein konnte. Wenn Bermann sie für krank hielt, konnte nichts und niemand ihn vom Gegenteil überzeugen. Er würde unerbittlich darauf hinwirken, dass sie den Weg aller Kranken ging, aus dem Kreis der Gesunden entfernt und in den Kreis der Kranken verbracht wurde.
«Du erinnerst dich an Calambert?», fragte sie.
«Das pädophile Franzosenschwein.»
«Der Mann, den ich erschossen hab. Ihr seid in die eine Richtung gelaufen, ich in die andere, und da war Calambert, und ich hab ihn erschossen.»
Bermann verstand sie falsch. «Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn», sagte er sanft. Ein liebe-voller Scherz. Auf seine Weise, fand sie, konnte Bermann sehr
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