Bottini, Oliver - Louise Boni 01
Freiburg hatte einen Wagen losgeschickt, doch der Mönch war schon weitergezogen. Die Beamten fuhren eine halbe Stunde über die Landstraßen und kehrten unverrich-teter Dinge zurück. Sie schrieben einen Bericht und faxten merkwürdigerweise eine Kopie ans Auswärtige Amt nach Berlin.
Louise hatte sich den Bericht ebenfalls schicken lassen. Er war so kurz, wie ein Bericht nur sein konnte.
Morgen würde sie mit dem Postboten sprechen und ihn nach den Kopfverletzungen des Mönchs fragen.
Von Badenweiler war der Mönch Richtung Kirchzarten gegangen – gut dreißig Kilometer Luftlinie, wie Niksch schätzte. Dreißig Kilometer durch Schnee, Käl-te, Dunkelheit. Niksch war beeindruckt. «Mehr als zweieinhalb pro Stunde kann er in den Latschen nicht machen.»
Westlich von Kirchzarten hatte ein Bauer aus Unterbirken den Mönch gesehen. Die Frau des Bauern hatte den katholischen Pfarrer informiert – im Beicht-stuhl von Unterbirken. Der Pfarrer hatte in Gegenwart der Bauersfrau beim Polizeiposten Kirchzarten angerufen. Wieder war ein Streifenwagen losgefahren, wieder ergebnislos: In der heraufziehenden Abenddämmerung war der Mönch nicht mehr aufzufinden gewesen.
Der Posten Kirchzarten hatte keinen Bericht geschrieben. Den katholischen Pfarrer hatte Louise nicht erreicht. Sie ertappte sich bei dem merkwürdigen Gedanken, dass sie ihn gern gefragt hätte, welche Sünden die Bauersfrau gebeichtet hatte.
Am Samstagvormittag schließlich war der Mönch im Schneetreiben an Hollerers Fenster in Liebau vor-beigegangen. «Acht Kilometer», sagte Niksch. «Er wird langsamer. Am Ende kratzt er uns noch ab.»
Sie dachte an die Wärme, die der Körper des Mönchs ausgestrahlt hatte, an die Stärke seiner Hand.
Badenweiler, Kirchzarten, Liebau – er kam aus südwestlicher Richtung. Von Badenweiler zur franzö-
sischen Grenze waren es zehn Kilometer, zur Schweizer Grenze vielleicht dreißig. Hatte er eine Grenze überquert?
Sie saßen vor einem mit blätterlosem Efeu bewach-senen Bürgerhaus im Wagen. Von außen sah das vierstöckige Gebäude aus wie alle anderen in der Straße auch. Louise fragte sich, was drinnen geschah.
Sie hatte keinerlei Vorstellung. Niksch hatte die Klin-gelschilder überprüft. Juliane von Gandler , Kagyü-Haus stand auf einem. Er hatte behauptet, an der Eingangstür rieche es «seltsam».
Was geschah in einem Kagyü-Haus?
«Komm», sagte sie.
Als sie den Gehweg betraten, blickte sie nach oben.
Auf den beiden Kanten eines der großen Steinbalkons im dritten Stock hockten, Wächtern gleich, zwei massive, etwa vierzig Zentimeter hohe graue Buddhafigu-ren.
Juliane von Gandler war bei Lama Tsögyal in Indien. Das Kagyü-Haus hütete eine höchstens sech-zehnjährige, gepiercte Punkerin. Aus dem Inneren drangen wütende Keyboardakkorde und tiefes Ge-lächter. «Bist du ihre Tochter?», fragte Louise.
Das Mädchen nickte entschuldigend. Obwohl es eine glimmende Zigarette in der Hand hielt, war der Geruch von Räucherstäbchen wahrzunehmen. «Hat sie was ausgefressen?»
«Nein. Wir brauchen jemanden, der sich mit Buddhismus auskennt.»
«Ritsch», sagte das Mädchen. «Der kennt sich aus.
Er ist an der Uni, und seine Frau ist aus Japan. Richard Landen.» Das Mädchen nannte eine Adresse in Günterstal. Niksch notierte sie.
Louise bedankte sich. Da fiel ihr die Bierdose in der anderen Hand des Mädchens auf. «Entsorg die Kip-pen und die Dosen, bevor deine Mutter zurück-kommt.»
Das Mädchen grinste. «Dauert noch zwei Monate.»
«Was macht sie denn in Indien?»
«Verrenkungen. Dann will sie eine Demo gegen China organisieren.»
«Gegen China?», fragte Niksch.
«China hält Tibet besetzt», sagte das Mädchen und lächelte sanft. «Das Lama kann nicht heim.»
Im Wagen blätterte Louise die Liste mit den buddhistischen Einrichtungen Freiburgs durch. Der Name Richard Landen tauchte nicht darin auf. Niksch nieste zweimal, dann schlug er vor anzurufen. «Vielleicht ist der auch mit Lama Tsögyal in Indien», sagte er.
«Dann fahren wir umsonst nach Günterstal.»
«Günterstal ist ganz nah, Niksch, es klingt nur weit weg.» Aber sie zog das Handy hervor und rief die Auskunft an und anschließend Richard Landen. Es war besetzt.
‹«Nikki› gefällt mir besser bei Ihnen», murmelte Niksch und grinste errötend.
«Wann hab ich ‹Nikki› zu dir gesagt?»
«Vorhin, beim Döner-Essen.»
«Oh. Okay, bel ami.»
Sie steckte das Handy ein. Während der kurzen Fahrt überlegte sie, was sie
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