Bottini, Oliver - Louise Boni 01
zärtlich sein.
«Damit hat es angefangen. Das … Du weißt schon.»
«Nein», sagte Bermann.
«Was nein?»
«Es hat schon früher angefangen, Luis. Du hast angefangen zu saufen, nachdem dich dein Mann sitzen ge …‼
Sie sprang auf. «Ich saufe nicht, Herrgott!» Der Satz hallte in ihrem Kopf nach, wie die Geräusche der Schritte heute Nacht im Wald nachgehallt hatten. Ich saufe nicht . Sie musste beinahe lachen, als ihr klar wurde, dass sie sich so verhielt, wie sich Alkoholiker typischerweise verhielten: Sie leugneten. Bermann hatte sie da, wo er sie haben wollte, im Kreis der Kranken. Also unterließ sie es, ihm die Unterschiede zwischen sich und einem Alkoholiker deutlich zu machen, die vor allem in Ursachen und Mengen lagen.
«Komm her», sagte Bermann.
Sie trat zu ihm. Vorsichtig ergriff er ihre Hand, bewegte die Beine auseinander und zog sie dicht vor sich. Seine Knie berührten die Seiten ihrer Oberschenkel.
«Wenn ich so wäre, wie du mich gern hättest», sagte sie, «würde ich jetzt denken, du willst mich küssen, und mich vor Freude in deine starken Arme werfen.»
Bermann stutzte. Die Vorstellung schien ihm nicht zu behagen. «Mund auf», brummte er.
«Rolf, ich sag ja nicht, dass ich nicht hin und wieder was trinke, von mir aus auch hin und wieder zu viel, ich sag nur, dass ich nicht saufe. Ja, ich hab vorhin einen Schluck getrunken und rieche vermutlich nach Alkohol, ich hab die ganze Nacht im Wald verbracht und darauf gewartet, dass wir überfallen werden … Übrigens riechst du nach Rühreiern mit Speck.»
Sie löste sich von ihm. «Können wir jetzt bitte endlich in die Gänge kommen und Verstärkung anfor-dern und einen Hubschrauber?»
Bermann rutschte vom Tisch. «Wir fordern überhaupt nichts an. Lass es mich so ausdrücken: Nur weil eine Säuferin nachts im Wald Halluzinationen hat und ein durchgeknallter Japse halb nackt durch die Gegend läuft, schicke ich keine Leute los. Klar?»
Sie nickte, damit hatte sie gerechnet. So kannte sie Bermann, und so war er ihr lieber, als wenn er «reden» wollte. Wenn Menschen wie er die unsichtbare Trennlinie zwischen dem echten Yin und dem echten Yang überschritten, wurden sie gefährlich.
Lächelnd ging sie zur Tür und öffnete sie. An Nikschs Augen erkannte sie, dass er zu viel gehört hatte. Aber dann schaute er Bermann an, und sie begriff, dass er ihr nicht in den Rücken fallen würde. Sie schickte ihn ins Nebenzimmer, wo er mit Datenbank, Internet
und
Branchenbuch
einen
Japanisch-
Übersetzer auftreiben und sich einen Überblick über buddhistische Einrichtungen in Südbaden verschaffen sollte.
«Und ruf Hollerer an», sagte sie, «ob alles in Ordnung ist bei ihnen.»
«Gut, Chef. Chefin? Chef», sagte Niksch.
«Ich glaub’s einfach nicht», hörte sie Bermann hinter sich sagen.
Sie schloss die Tür. «Glaub, was du willst, Rolf. Bekomme ich meine Verstärkung?»
«Nein.»
«Wie geht’s jetzt weiter?»
«Du gehst heim, du hast ja sowieso frei. Und wenn Almenbroich morgen kommt, wirst du krankge-schrieben.» Bermanns Stimme war wieder sanft geworden. In seinem Blick lag eine sorgenvolle Art von Ärger, wie man ihn für Kinder, Kranke und Hunde empfand. Louise pflegte vertrocknete Balkonpflanzen auf diese Weise anzusehen. Sie hielt dem Blick stand, obwohl er ihr unheimlich war. Erneut hatte Bermann die Trennlinie überschritten.
Sie setzte sich. Bermann schwieg, rührte sich nicht.
Sie schaltete den Computer ein und versuchte, sich zu konzentrieren. Wenn sie auch nicht wusste, wohin der Mönch unterwegs war, so konnte sie immerhin vielleicht herausfinden, woher er kam. Sie würde die Meldungen der Presseagenturen sichten, die Dienst-stellen südlich, westlich und östlich von Freiburg anrufen, bei den Radiosendern nachfragen.
Sie sah auf die Uhr. Eins. Ihr fiel ein, dass sie seit Hollerers Brötchen nichts gegessen hatte. Heißhunger überkam sie. Heißhunger und Durst und ein unbes-timmbares sexuelles Verlangen.
Sie seufzte. «Gut», sagte sie zu Bermann. «Lass uns einen Kompromiss schließen.»
Bermann würde sie heute in Ruhe lassen. Falls sich bis morgen herausstellte, dass sie sich die Verfolger im Wald und die Gefahr für den Mönch nur eingebil-det hatte, würde sie ihn freiwillig zu Almenbroich, dem Kripo-Leiter, begleiten und allem zustimmen, was beschlossen werden würde. Krankschreibung, Entzug, Innendienst.
Nachdem Bermann endlich gegangen war, fragte sie sich, ob dies der Abgrund war, den sie gestern
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