Bottini, Oliver - Louise Boni 01
mal nicht in Werte, sondern in Worte.»
«Lassen wir das, ja? Erzähl mir lieber, ob du damals einen Freund hattest.»
Ihre Mutter stieß ein zorniges Lachen aus und zog den Arm zurück. «Ob ich einen hatte oder nicht – unsere Ehe ist nicht deswegen kaputt gegangen, Louise.»
«Richtig, sie ist wegen Filbinger kaputt gegangen.»
«Nein, sie ist kaputt gegangen, weil ich einen Franzosen geheiratet hab, aus dem plötzlich ein Deutscher wurde. Manchmal sind die Dinge ziemlich einfach.»
«Hier sind sie einfach.»
«Ja», sagte ihre Mutter und hakte sie wieder unter.
Während ihre Mutter das Abendessen zubereitete, saß Louise auf dem Sofa und fragte sich, weshalb ihre eigene Ehe kaputt gegangen war. Auch da gab es eine einfache Antwort: Weil Mick sie innerhalb von fünf Jahren mit halb Südbaden betrogen hatte.
Vermutlich gab es auch komplizierte Antworten.
Antworten, die aufschlussreicher waren, ein höheres Maß an qualitativen Informationen beinhalteten. Doch der Weg dorthin führte durch einen Dschungel unangenehmer Fragen: War sie im Bett langweilig? Hatte er sie überhaupt geliebt? Warum hatte er keine Kinder gewollt? Hatte er nur von ihr keine Kinder gewollt?
War sie als Polizistin für Ehe und Familie nicht geeignet?
Stöhnend griff sie nach dem Handy.
Hollerer war aufgewacht und hatte nach Niksch gefragt und war wieder eingeschlafen. Sie nahm das Weinglas, das sie vor das Sofa auf den Boden gestellt hatte, und dachte: Niksch ist hier, Hollerer. Hier, wo alles einfach ist.
Ihr Blick fiel auf die fremden Gesichter auf dem Fenstersims. Freunde aus dem Dorf, hatte ihre Mutter gesagt und Namen genannt, die sie gleich wieder vergessen hatte. Fremde Freunde.
Sie wählte Richard Landens Nummer. Wieder meldete sich die Japanerin namens Tommo, wieder legte sie auf. Sie kroch unter die Decke und stellte sich vor, dass Richard Landen und Tommo komplizierte Fragen aneinander hatten und auf der Suche nach komplizierten Antworten waren. Antworten, die ihnen halfen, sich zu respektieren, ohne sich zu verstehen. Dann schlief sie ein.
Als sie erwachte, war es in der Wohnstube dunkel.
Auch aus der Küche drang kein Licht. Nur die knis-ternden Kohlen warfen rötliche Schimmer Helligkeit in den Raum. Das Handydisplay zeigte «21:54». Sie tastete nach dem Weinglas. Es war fort.
Auf dem Herd stand ein abgedeckter Topf Nudeln mit Fleischsauce. Sie hatte keinen Hunger, aber sie wusste, dass ihr Körper etwas zu essen brauchte.
Lustlos entzündete sie die Gasflamme unter dem Topf. Ihre Hände zitterten, die Innenflächen waren feucht. In einem metallenen Brotkorb fand sie einen Rest Baguette. Sie brach die Hälfte ab. Für eine, zwei Sekunden sah sie Niksch mit dem Döner in der Hand vor sich. Seine schönen, freundlichen Lippen, die sich zufrieden hinter Brot, Fleisch und Tomaten schlossen.
Als sie sich an den Tisch setzte, hörte sie Schritte über sich.
Wenig später trat ihre Mutter im Schlafanzug in die Küche und sagte: «Ich wollte dich nicht wecken.» Sie ging zum Herd, stellte die Flamme kleiner. Dann nahm sie den Deckel von dem Topf, rührte um, salzte nach.
«Ich möchte was trinken, Mama.»
«In dem Schrank hinter dir ist Rotwein und Pastis.
Wenn du was anderes willst, müssen wir …‼
Sie stand auf. «Nein, das geht.»
«Schenkst du mir auch ein Glas ein?»
Sie stellte den Wein und den Pastis auf den Tisch.
«Hast du schon gegessen?»
«Ja.»
Während ihre Mutter mit dem Rücken zu ihr einen Teller füllte, trank sie ein halbes Glas Pastis und schenkte lautlos nach.
«Haben sie dich rausgeschmissen?»
«Krankgeschrieben.»
Ihre Mutter stellte den Teller vor sie. Flüchtig strich sie Louise mit der Hand über den Arm. Dann setzte sie sich. Louise starrte auf die Nudeln, die hellbraune Soße. Der Anblick war ihr vertraut. So sahen die Spaghetti Bolognese ihrer Mutter seit vierzig Jahren aus.
Sie begann zu essen und erzählte dabei von Almenbroich, Bermann, Katrin Rein und dem Abgrund.
Gegen elf an diesem Abend erwachte ihre Mutter wieder zur Kriegerin. Sie könne, sagte sie heiser, nicht verstehen, dass Louise kapituliert habe. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Mund ein schmaler, angespannter Strich. Sie hatte sich halb erhoben, als wollte sie sich auf einen unsichtbaren Feind werfen. «Du verklagst sie», sagte sie und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
«Setz dich, Mama», sagte Louise. Der Wein war ge-leert, der Pastis fast. Sie ließ den letzten Zentimeter in ihr Glas
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