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Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
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Ihre Bewegungen waren schwer und lustlos. Sie roch nach Wein.
    «Ich mach das schon», sagte Louise. «Komm.»
    Sie legte den Arm um ihre Mutter, führte sie durch die Stube. Auf der schmalen Treppe musste sie hinter ihr gehen. Sie ließ die Hand an ihrer Hüfte. Der Körper ihrer Mutter war warm und dünn und fremd.
    Sie fragte sich, ob sie Recht hatte. Fuhr sie ins Kanzan-an, um zu kämpfen? Oder bestand zwischen kämpfen und nicht aufgeben ein wichtiger Unterschied? Für etwas zu kämpfen bedeutete, alle anderen Möglichkeiten auszuschließen. Nicht aufzugeben bedeutete – zumindest in ihrem Fall –, andere Möglichkeiten zu finden.
    In dem winzigen Schlafzimmer war es eiskalt. Sie schaltete die Nachttischlampe ein. Das Fenster war gekippt. «Lass», sagte ihre Mutter, als sie es schließen wollte.
    Sie schüttelte die Decke auf, hielt ihre Mutter, bis sie auf dem Bett saß. Erst jetzt bemerkte sie, dass über die dunklen Wangen Tränen liefen. «Was musst du durchgemacht haben», sagte ihre Mutter. «Im Wald, mit deinem toten Kollegen.»
    Louise schwieg. Ihre Mutter legte sich hin, und sie zog die Decke über sie. «Es ist noch nicht vorbei, Louise, glaub das nicht, auch wenn es so aussieht. So lange Frauen und Kinder leiden müssen, ist es noch nicht vorbei.»
    «Niksch war kein Kind, Mama.»
    «Natürlich war er ein Kind.»
    «Schlaf jetzt, ja?»
    Ihre Mutter griff nach ihrer Hand. «Ich war stolz auf dich, Louise. Ich dachte, du kämpfst für mich weiter.»
    «Nacht, Mama.»
    «Weißt du, wovon ich spreche, Louise?»
    «Ja.»
    «Von der Gier der Männer.»
    «Ich weiß, Mama.»

    «Gut. Das ist … wichtig.» Mit einem vagen Lächeln ließ ihre Mutter ihre Hand los. «Kommst du in der Bäckerei vorbei, bevor du fährst?»
    «Natürlich. Gute Nacht.»
    Leise schloss sie die Tür. An der Treppe drehte sie sich um. Durch den Türspalt drang kein Licht mehr.
    Während sie in der Küche abspülte, dachte sie daran, dass ihre Mutter mit allen Idealen gescheitert war.
    Keine ihrer Hoffnungen hatte sich, zumindest soweit sie diese Hoffnungen kannte, erfüllt. Weder die politi-schen noch die gesellschaftlichen, noch die familiären.
    Ob sie jetzt noch Ideale hatte? Hoffnungen? Einfache Hoffnungen? Oder ging es ihr nur darum, die Kriegs-verletzungen auszukurieren? Wer war ihre Mutter?
    Was wollte sie, dachte sie, fühlte sie?
    Und sie selbst? Was wollte und fühlte sie? Wer war sie?
    Sie lachte leise, als ihr bewusst wurde, dass sie sich diese Fragen ausgerechnet beim Spülen stellte.
    In der Nacht träumte sie von Calambert. Er lag im Schnee, sie stand über ihm. Seine Augen waren geöffnet. Er starb nicht, obwohl sie ihm Kugel um Kugel in den Bauch schoss.
    Sie erwachte und setzte sich auf.
    Die Bilder aus dem Traum waren fort. Was blieb, war der Zorn, den sie empfunden hatte. Unkontrol-lierbarer Zorn.
    Ein Zorn, wie ihn ihre Mutter früher empfunden haben musste.
    Gegen neun brach sie auf. Die Sonne schien, der Tag würde mild werden. Fünfzig, sechzig Kilometer weiter nördlich mochte Schnee liegen, hier nicht. Eine kleine Welt ohne Schnee.
    Als sie vor der Bäckerei aus dem Wagen stieg, trat ihre Mutter vor die Tür. Sie umarmten sich rasch.
    «Komm doch mal im Frühling oder im Sommer, nicht immer im Winter.»
    «Dann streichen wir dein Haus fertig.»
    Ihre Mutter nickte und trat zurück. «Grüß Mick.»
    Louise sah sie schweigend an. In ihrem Kopf begann sich ein Satz zu bilden, der zugleich einfach und kompliziert war. Bevor er nach draußen drängen konnte, setzte sie sich ins Auto und fuhr los.

    8
    JUSTIN MULLER SAH AUS wie vor einem Jahr, sprach wie vor einem Jahr, lächelte wie vor einem Jahr. Kein Tag schien vergangen zu sein, seitdem sie Mulhouse nach ihrer letzten Begegnung verlassen hatte. Wenn sie sich recht erinnerte, trug er sogar dasselbe karierte Jackett. Ein Fels in der Brandung Zeit.
    Unangefochten von Kummer, Niederlagen, Rück-schlägen eines Polizistenjahres und den potenziellen Wehwehchen eines Fünfzigjährigen. Sein Blick glitt unruhig über ihren Körper. «Du siehst gut aus», log er auf Französisch.
    Sie standen in seinem Büro. Es war Viertel nach zwei. In Mulhouse lag kaum noch Schnee, Tauwetter hatte eingesetzt. Es war von Westen nach Osten vor-gedrungen und musste auch Südbaden längst erreicht haben. Richard Landen würde problemlos durch-kommen. Sie sah ihn in einem Mitsubishi oder Honda oder Mazda die Rheinbrücke überqueren. Ein unangenehm warmer Schauer lief ihr über den

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