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Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
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fließen.
    Ihre Mutter sank auf den Stuhl zurück. Die Decke rutschte von ihren Schultern auf den Boden. Sie bück-te sich. Als sie sich wieder aufrichtete, wirkten ihre Augen erschöpft. Jetzt sah man ihnen an, dass sie zu viel getrunken hatte.
    «Ich kapituliere nicht, Mama.»
    «Warum bist du dann hier?»
    «Weil ich eine Auszeit brauche.»
    «Während du dir eine Auszeit nimmst, sorgen die für Tatsachen.» Auch die Stimme ihrer Mutter klang jetzt erschöpft. Dunkel vom Trinken und der Müdigkeit. Louise überlegte, wen sie mit «die» meinte. Die Kollegen? Die Behörden? Die Männer? «Verklag sie, Louise», murmelte ihre Mutter. «Kämpfe.»
    Eine Weile schwiegen beide. Aus der Stube drang noch vereinzelt das Knacksen der verglühten Kohlen.
    Ansonsten war es in der Küche gespenstisch still. Sie sah ihre Mutter an, starrte dann auf die beiden leeren Flaschen, die beiden leeren Gläser. In ihrem Bewusstsein hallte ein Wort nach: Kämpfe. «Wogegen, Ma-ma? Wofür?»
    «Was für eine Frage, Louise.»
    Sie zuckte die Achseln. «Mit Kämpfen allein ist es nicht getan. Es muss noch was anderes geben.»
    Die Wut ihrer Mutter flackerte wieder auf. «Ja, na-türlich», sagte sie. «Sich unterwerfen.»
    Aus weiter Ferne drang das stark gedämpfte Klingeln ihres Handys in ihr Bewusstsein. Sie stand auf.
    «Das gilt für dich, Mama, nicht für mich. Ich lebe heute. Für mich muss es noch was anderes geben.»
    Das Handy lag unter der Bettdecke auf dem Sofa.
    Sie erkannte die Nummer sofort. Und jetzt?
    Begleitet von einem leisen Seufzen der Daunenfe-dern sank sie in die Decke. Sie wünschte, ihre Mutter wäre nicht in Hörweite. Aber sie schien sie nicht zu beachten. Zusammengesunken saß sie am Küchentisch, die Stirn gerunzelt, dachte vielleicht an eine Zeit, in der es nur um Kampf oder Unterwerfung gegangen war.
    Sie räusperte sich einmal, ein zweites Mal. «Ja?
    Bonì?»
    «Ah, die Kommissarin», sagte Richard Landen.
    Seine Stimme klang überrascht. Er murmelte ein paar japanische Wörter, im Hintergrund antwortete seine Frau. «Es ist spät, entschuldigen Sie», sagte er zu Louise. Zwei Anrufe an zwei aufeinander folgenden Tagen, ohne dass der Anrufer ein Wort von sich gegeben habe. Sie hätten, erklärte er mit einem freudlo-sen Lachen, an einen Perversen gedacht – der in tech-nischer Hinsicht nicht auf dem neuesten Stand sei. Er schwieg. Offenbar wartete er auf eine Erklärung.
    Aber sie hatte keine Lust auf Erklärungen. Sie dachte an all die Dinge, die sie Richard Landen fragen und sagen wollte. Die Dinge, die sie mit ihm tun wollte.
    Dann dachte sie an die filigranen Tassen und schämte sich für ihre Hände, ihren aufgeschwemmten Körper, den Geruch, den er ausströmte. Für die immer häufigeren stummen Momente in der Toilette der Dienststelle, die Partylügen, die vielen anderen Lü-
    gen, die Wochenenden im Bett. Die sich mehrenden Gedächtnislücken. Für ihre Gier vorher , ihre Zufriedenheit nachher .
    Kämpfe, sagte die Stimme ihrer Mutter. Aber sie spürte, dass das nicht reichen würde. Wenn man nicht wusste, was man mit dem eroberten Land anfangen wollte, begann man keinen Krieg.
    «Sind Sie noch dran?», fragte Richard Landen.
    «Ja. Ich brauch Ihre Hilfe noch mal.»
    «Ich dachte, Sie wären im Urlaub.»
    «Ich mache in der Nähe Urlaub. Helfen Sie mir?»
    «Heute Morgen hatte ich nicht den Eindruck, dass meine Hilfe erwünscht ist.»
    «Fahren Sie mit mir ins Kanzan-an.» Mit einem Mal fühlte sie sich ungeheuer müde. Sie schloss die Augen, legte den Kopf nach hinten auf die Lehne des Sofas.
    «Wollten nicht Ihre Kollegen …‼
    Sie unterbrach ihn. «Lassen wir das, ja? Haben Sie ein Auto?»
    Richard Landen zögerte mit der Antwort. Dann sagte er: «Ja.»
    «Gut. Morgen gegen zwei im Kloster, passt Ihnen das?»
    «Nein, frühestens um drei.»
    «Also um drei. Danke.»
    Nachdem sie aufgelegt hatten, saß sie noch einen Moment mit geschlossenen Augen da. Dann stand sie auf. Fast automatisch suchte ihr Blick die Fotografien auf dem Fensterbrett. Auf einem der Rahmen lag ein Lichtreflex von der Küchenlampe. Die Gesichter waren im Dunkeln nicht zu erkennen.
    Jetzt war sie froh, dass es im Haus ihrer Mutter keine Fotos von früher gab. Keine Fotos, die belegten, wie sehr sie sich verändert hatte.
    Ihre Mutter hatte sich erhoben und begonnen, den Tisch abzuräumen. «Na also», sagte sie, als Louise in die Küche zurückkehrte. «Du fährst zurück … Du gibst nicht einfach auf … Du kämpfst …»

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