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Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
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hinaus sollte es vielleicht eine sein. Diktatoren schufen nicht nur Probleme, sondern auch Möglichkeiten. Beinahe hätte sie aufgelacht. Bermann war so fantasielos.
    «Versprich mir, dass du aufpasst», sagte sie. «Dass es nicht die einzige Möglichkeit wird.»
    Sie wartete vor der Bäckerei. Jenseits der beschla-genen Scheiben bewegten sich zwei, drei kleine, dunkle Gestalten in dem gelben Licht. Einmal ging die Tür auf, eine Frau trat heraus. Louise rief sich die Gesichter auf den Fotos in Erinnerung, aber keines passte zu der Frau.
    Dann kam ihre Mutter und hakte sich zaghaft bei ihr unter.
    Beim Mittagessen sprachen sie kaum. Louise dachte an die Fotos, an Filbinger, daran, dass er und die Vergangenheit nicht mehr wichtig waren. «Reicht dir Wasser zum Essen?», fragte ihre Mutter, und sie nickte verärgert.
    Das Ende der Familie, behauptete jedenfalls ihr Vater, hatte 1968 begonnen. Das Jahr 1968 hatte «Leuten wie deiner Mutter» – «frustrierten Feministinnen, Hippies, Kommunisten» – Begriffe, Mitstreiter, Foren, Projektionsflächen gegeben. Vier Zahlen bohrten sich in den Familienkörper, der in jenem Jahr auszubluten begann und zehn Jahre später kollabierte.
    Dazwischen lagen erst Diskussionen, dann Streits, dann Hysterie und Handgreiflichkeiten und am Ende eine unheimliche Ruhe. Ihre Mutter wurde zur
    «Kommunistenhure», «Männerfresserin» und «Terro-ristin», ihr Vater zum «Faschisten» und «Kollabora-teur». Germain brach die Schule ab und floh nach Nordafrika. Louise blieb und hoffte auf Besserung.
    Eines Nachts kamen Legionen von Schutzpolizisten und verhafteten ihre Mutter. Der Grund: angebliche RAF-Nähe oder -Unterstützung. Es dauerte Wochen, bis ihr Anwalt die Vorwürfe entkräften konnte.
    Wer ihre Mutter denunziert hatte, kam nie heraus.
    Wen sie verdächtigte, wurde rasch klar: Sie kam nicht nach Hause zurück und sprach von diesem Tag an kein Wort mehr mit Louises Vater.
    Schon damals bevorzugte sie einfache Lösungen.
    Zumindest am Anfang war es komplizierter. In Louises Erinnerung gab es ein Foto von einer Demonstration, auf dem auch ihr Vater war. Sie sah ihn deutlich vor sich, zaghaft lächelte er in die Kamera.
    Neben ihm stand ihre Mutter und reckte einen Arm in die Luft. Auch dieses Foto war verschwunden.
    Ich war in meinem ganzen Leben nie auf einer Demonstration, hatte ihr Vater später behauptet. Spießer demonstrieren nicht, hatte ihre Mutter gesagt.
    Nach Filbingers Rücktritt 1978 rieb sie sich in Einzel-Scharmützeln auf. Franz-Josef Strauß, NATO, Waffenindustrie, die Kohl-Regierung. Jeden Tag entstanden neue Fronten. Als Germain 1983 starb, gab sie den Krieg von einem Tag auf den anderen auf.
    «Hattest du damals einen Freund?», fragte Louise kauend.

    «Wann?»
    «Am Anfang. Achtundsechzig.»
    «Himmel … Sagt das dein Vater?»
    «Er sagt: ‹Du kannst dir vorstellen, was die in ihren Kommunen gemacht haben.›»
    ‹«Was die in ihren Kommunen …‼› Ihre Mutter brach ab.
    «Also?»
    Ihre Mutter erhob sich und legte den Teller in die Spüle. «Warum kommst du jetzt damit? Das ist über dreißig Jahre her.»
    «Hattest du einen Freund, Mama?»
    «Machst du mich für deine Probleme verantwortlich?» Ihre Mutter stellte eine italienische Espresso-kanne auf den Herd. Sie wirkte nicht verunsichert, nur verärgert.
    Louise grinste matt. Fotos konnte man entfernen, Erinnerungen nicht. Zumindest nicht, wenn andere sie wach hielten. «Und warum ist Filbinger jetzt plötzlich nicht mehr wichtig? Zehn Jahre lang hat sich alles nur um ihn gedreht, und jetzt ist er plötzlich nicht mehr wichtig.»
    Ihre Mutter wandte sich um. «Ich habe gesagt: Hier ist er nicht mehr wichtig.» Sie sahen sich einen Moment lang an. Das Gesicht ihrer Mutter war immer noch glatt und auf ihre verhärmte Weise schön, die Augen lebten auf eine besondere, intensive Art. Was dahinter lag, hatte Louise nie in Erfahrung bringen können.
    Ihre Mutter füllte zwei kleine Tassen mit Espresso.

    Die Tassen waren robuster als die von Richard Landen und trugen zahlreiche Gebrauchsspuren. Sie passten zu ihren Händen. Louise versuchte, sich Landen bei der Soko vorzustellen. Aber er war nur noch ein Schemen, ein Gefühl, kaum mehr ein Bild. Nur an seine klare, distanzierte Stimme erinnerte sie sich genau. Man kann einen anderen Menschen nie wirklich verstehen, sagte die Stimme.
    Ihre Mutter setzte sich. «Warum ist das alles so wichtig für dich?»
    «Warum das …‼ Sie brach ab, schloss die Augen,

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