Bottini, Oliver - Louise Boni 01
gehört prin-zipiell euch, es sei denn, er ist in Frankreich. Das Gleiche gilt für den Halter. Wir haben eine Schweizer Organisation mit Sitz in Basel, die gehört der Schweiz
…‼
«Die Schweiz ist kein Problem», warf Bermann ein.
«Wenn wir in die Schweiz müssen, setzen wir uns ins Auto, rufen die Einsatzzentrale Basel an, lassen uns mit einem Staatsanwalt verbinden, der Staatsanwalt sagt: Seid ihr bewaffnet?, wir sagen: Ja, der Staatsanwalt sagt: Dann kann euch ja nichts passieren, viel Glück. Die Schweiz ist kein Problem. Die Italiener sind auch kein Problem. Selbst die Russen sind kein Problem.» Er grinste zufrieden.
«Frankreich ist ein Problem», sagte Chervel und grinste ebenfalls. «Also, was haben wir noch? Wir haben drei französische Profis. Die gehören uns, auch wenn sie vermutlich einen deutschen Polizisten ermordet haben und ein deutsches Auto fahren. Wir haben deutsche und französische Mitarbeiter von Asile, die teilen wir uns, je nachdem, wo sie sind. Hab ich was vergessen?»
«Die Kinder», sagte Louise.
«Ah», sagte Chervel.
«Haut endlich ab und findet sie.»
Wenig später kam ein dicker junger Oberarzt und versorgte sie vom Fußende des Bettes aus mit medizi-nischen Details. Keine Knochen verletzt, keine Gefäße verletzt, nur Muskeln und Fettgewebe, dazu durch Schmutzeinwirkung eine Entzündung. Sie nickte erschöpft. Der Arzt sprach südbadischen Dialekt und leise, aber mit Begeisterung. Seine Hände steckten in den Seitentaschen des weißen Kittels. Immer wieder hob er die Arme seitlich an, so weit der Stoff es zuließ, und glich dann einem überschwänglichen weißen Putto. Sie ahnte, dass sie seine erste Schussverletzung war. Die erste Begegnung mit einem Kapitalverbrechen. Mit dem Bösen.
«Wir hatten Glück», sagte er. «Bei einer Verletzung der Arteria subclavia, will heißen Oberarmarterie, hätten wir nach dreißig bis hundertzwanzig Minuten eine Schocksymptomatik gehabt, also Blutverlust, Tachykardie, will heißen schnellen Herzschlag, Blut-druckabfall, Bewusstseinseinschränkung, will heißen, wir wären nicht mehr adäquat ansprechbar gewesen, et cetera, und man hätte notoperieren müssen, aber das wär nicht gegangen, weil wir … ich meine, weil Sie … Sie waren ja nicht hier.»
Er lächelte verlegen.
«Und sonst?»
«Wie meinen Sie das, und sonst?»
«Was haben Sie sonst noch festgestellt? Allgemein?»
«Allgemein?»
«Ist mein Blut in Ordnung?»
«Ja, und Sie sind auch nicht schwanger, wenn Sie das meinen.»
«Das meinte ich. Kann ich die Kugel haben?»
«Die Kugel? Ah, die Kugel. Nein, die ist bei Ihren Kollegen von der Kriminaltechnik.»
Als sie am Tag darauf wieder aufrecht sitzen konnte, rief sie Anatol an. Er saß im Taxi, hatte Fahrgäste, konnte nicht reden. Obwohl er wenig mehr als «Hey»
und «Ja» und «Mann!» sagte, spürte sie, dass er erleichtert war und sich freute. Sie murmelte: «Es gibt was zu feiern. Komm, wann immer du willst, aber bring eine Flasche Prosecco mit.»
«Okay. Heute Abend gegen neun?»
«Ich brauch einen Pulli. Und vergiss den Prosecco nicht.»
Anatols Lachen klang ein wenig hinterlistig, so als wüsste er, wozu der Prosecco in Wahrheit diente, und überlegte, ob er ihr den Gefallen tun sollte oder nicht.
Später am selben Tag stand Katrin Rein plötzlich neben ihrem Bett. Das hübsche Puppengesicht war blass, ihre Hand kalt, der Blick verschreckt.
«Sie wollen nicht jetzt mit dem Reden anfangen, oder?», fragte Louise.
Katrin Rein schüttelte den Kopf.
«Sie haben sich wieder Sorgen gemacht?»
Katrin Rein nickte.
Dann sank sie auf den Stuhl neben dem Bett und leerte Louises Wasserglas mit einem Zug. «Entschuldigung. Ich ertrage Krankenhäuser nicht sehr gut. Tut es noch weh?»
«Manchmal.»
«Und Sie wurden wirklich angeschossen?.»
Louise nickte erschöpft. Für einen lächerlichen Moment war sie beinahe stolz. Dann fiel ihr ein, weshalb sie Katrin Rein kannte, und der Stolz wich Resignation. Katrin Rein, die Abgrundfrau. Deren Aufgabe es war, ausgiebig in der Wunde herumzusto-chern, damit sie besser heilte.
«Wo … wo … wo … wo … wo …‼
Sie zeigte flüchtig auf die rechte Schläfe, die linke Schulter.
Katrin Rein riss die Augen auf, schenkte sich Wasser nach und stürzte es hinunter. Dann wischte sie sich ein paar Tropfen von dem hellen Flaum auf der Oberlippe. «Ich habe über die psychischen Folgen von Schussverletzungen promoviert», sagte sie.
«Beim Opfer oder bei seiner
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