Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
Vom Netzwerk:
begann zu weinen.
    Als sie aufhörte, war es dunkel. Lautlos flogen Schneeflocken gegen das Fenster. Der Griff ihres Vaters war unverändert fest. Irgendwann, wenn sie einmal Zeit dafür hatte, würde sie ihm von Anatol und Richard Landen erzählen, von Enni und dem Roshi.
    Mochte er die Nase rümpfen, sie würde ihn in ihr Leben holen. Sie würde ihn mit sich, ihren gläsernen Freunden und ihren beruflichen Problemen konfron-tieren, damit er wusste, wer sie war. Am Leben zu sein, dachte sie, war mehr, als einen Telefonhörer ab-zunehmen, wenn man angerufen wurde.
    Und irgendwann, wenn sie einmal Zeit dafür hatte, würde sie ihm helfen, sich zu erinnern, was mit ihrer Familie in den Siebzigerjahren wirklich geschehen war. Was er auf einer Studentendemonstration getan hatte.
    Aber nicht jetzt. Jetzt wollte sie schlafen. «Fahr nach Hause, Papa», murmelte sie.
    Sie spürte noch, dass sich die Matratze leicht bewegte, dann schlief sie ein.
    Gegen halb neun klingelte das Telefon. Im Halb-schlaf richtete sie sich auf und griff nach dem Hörer.
    Ihr Blick fiel auf einen Notizzettel auf dem Nachttischchen. Darauf stand: Ich werde morgen Vormittag wiederkommen, Liebes. Ich hoffe, es ist dir recht, dass ich diese Tage in deiner Wohnung verbringe, solange du im Krankenhaus bist. Dein Vater.
    In ihrer Wohnung.
    Sie sank ins Kissen zurück. Wann hatte sie ihm den Schlüssel zu ihrer Wohnung gegeben? Sie erinnerte sich nicht. Panik ergriff sie. Sie dachte an den Unterschrank der Spüle. Das Spiegelschränkchen über dem Waschbecken im Bad. Im Schlafzimmer, im Wohnzimmer und im Bad lag Unterwäsche. Im CD-Player lag Barclay James Harvest. Die Zeit, da sie ihren Vater in ihr Leben holte, war schneller gekommen, als ihr lieb war.
    Stöhnend hielt sie sich den Hörer ans Ohr. «Ja?»
    «Wie geht’s Ihnen?», sagte Barbara Franke.
    «Besser.»
    «Schön. Ich komme Sie morgen wieder besuchen.
    Zum Thema: Sie hatten Recht.»
    «Womit?»
    «Mit Areewan. Ihre Mutter hat sie Anfang 2000 zur Adoption freigegeben. Kurz darauf wurde sie adoptiert. Von demselben Ehepaar, das sie schon einmal adoptiert hatte.»
    «Haben Sie einen Namen?»

    «Zwei. Sie kennen sie: Harald und Natchaya Mahler.»
    Louise überlegte, weshalb sie nicht überrascht war.
    Dann begriff sie, dass es ihr wie Lederle ging: Sie schloss nichts mehr aus. Folglich war sie auch nicht mehr zu überraschen.
    Natchaya und Areewan. Wieder ließen sich zwei lose Enden miteinander verknüpfen.
    «Sie sind Schwestern», sagte Barbara Franke. «Gro-
    ße Familie. Natchaya ist die Älteste, Areewan die Jüngste. Natchaya und zwei andere Schwestern sind vor Jahren verschwunden, nachdem der Vater gestorben war. Zum Arbeiten, sagte die Mutter vor Gericht, als das Verfahren wegen Areewan lief. Sie können sich denken, was das heißt?»
    Louise nickte. «Prostitution.»
    «Nein», sagte Barbara Franke, «das heißt es nicht.
    Es heißt Kindesmissbrauch.»
    Kurz nachdem sie aufgelegt hatte, kam Anatol.
    «Hey!», sagte er.
    «Hey.»
    «Du machst Sachen.»
    Sie küssten sich auf eine merkwürdig vertraute Weise flüchtig. Anatol stellte den Prosecco auf das Nachttischchen. Dann blickten sie sich schweigend an.
    Er sah jünger aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sie hatte ihrem Bild von ihm in den vergangenen Tagen Lachfältchen, ein paar weiße Strähnen, ein paar Kilo hinzugefügt. Vielleicht lag es auch nur daran, dass er nicht wie beim letzten Mal ermattete Ruhe ausstrahl-te.
    Er schien sich aufrichtig zu freuen, sie zu sehen, und wirkte erleichtert. Erschrocken und erleichtert.
    Nur in seinen Augen bemerkte sie die seltsame Erschöpfung.
    «Unglaublich», sagte er.
    Sie strich ihm über die Locken. «Was?»
    «Keine Ahnung. Einfach unglaublich.»
    Sie lachten verlegen.
    Sein Blick glitt zu dem Verband um ihre Schulter.
    «Hey», sagte er, «das gibt’s einfach nicht.»
    «Na komm, trinken wir drauf.»
    In dieser Nacht jagte ein Albtraum den anderen. In den meisten kamen Anatol und Enni vor. Sie waren nackt und höchstens zehn Jahre alt. Sie lagen auf Sofas, Betten, Böden und ließen wortlos über sich ergehen, was immer sie auch tat. Einmal kam Richard Landen und sagte: Du solltest das nicht tun. Sie antwortete: Es ist gut für sie. Sie wollen es. Glaub mir.
    Bei mir sind sie sicher. Hier werden sie nicht krank.
    Sie müssen nicht auf der Straße leben. Sie bekommen genug zu essen. Sie werden geliebt. Möchtest du auch? Nein, sagte Richard Landen und ging.

    15
    LEDERLE WECKTE SIE

Weitere Kostenlose Bücher