Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Stock waren echt. Er lachte wieder, sagte:
»Mich bemerkt keiner.«
»Weil Sie Erfahrung haben.«
»Klinge ich so larmoyant?« Er sprach das Wort Französisch aus, mit Nasal. »Hinterherrennen kann ich ihnen jedenfalls nicht.«
»Brauchen Sie auch nicht.«
»Richtig, das machen dann die Jüngeren.«
Louise sagte nichts.
Sie verabschiedeten sich. In diesem Moment erklangen auf der Lichtung laute Stimmen. Der Zugriff hatte begonnen.
Aber es lief ganz offensichtlich nicht wie geplant. Noch während sie zu Anne Wallmer und Thomas Ilic eilte, sah sie, dass zwei MEK-Kollegen das Haus rückwärts verließen, die Maschinenpistolen im Anschlag, dann folgten mit erhobenen Händen die beiden Männer, denen sie im Wald zwischen Oberried und Sankt Wilhelm hinterhergelaufen war, dann, ebenfalls rückwärts, zwei weitere Beamte des Kommandos.
Dann kam niemand mehr.
Über die Lichtung, den Waldrand, die Wartenden legte sich Stille. Niemand sprach, alle blickten Richtung Haus.
Bo und Marion Söllien kamen nicht.
Louise ging zu Bermann und Pauling. »Er hält sie als Geisel«, flüsterte Bermann, ohne sie anzusehen. Quatsch, dachte Louise, sie gehört doch dazu, Marcel hat doch gesagt, dass sie dazu gehört. »Unten links, im Wohnzimmer«, flüsterte Bermann.
Bo hatte eine Pistole, ein Kampfmesser.
Quatsch, dachte Louise erneut.
Er tötet ohne Skrupel, hatte Marcel gesagt.
Die Stimmen gerieten in ihrem Kopf durcheinander, Bermann, Marcel, dann Pauling, der in sein Mikro flüsterte, der Bermann informierte, Bermann, der etwas erwiderte, Pauling, der Befehle flüsterte, »erster Stock« sagte, Bermann, der sie, ohne sie anzusehen, informierte, dass die Geisel unversehrt zu sein scheine, welche Geisel, dachte sie, die gehört doch dazu!
Dann plötzlich eine weitere Stimme, eine wütende, helle Männerstimme, die aus dem Haus zu ihnen drang und in einer fremden Sprache unverständliche Wörter rief, abbrach, sich von Neuem erhob, abbrach.
Dann herrschte wieder Stille.
Bermann winkte Thomas Ilic zu sich.
»Er flucht«, sagte Thomas Ilic.
Pauling hob eine Hand. Jetzt hörten sie es auch. Eine Frau, die weinte. Pauling flüsterte wieder, lauschte, strich sich mit der Hand über das kurze graue Haar, sagte schließlich, zu Bermann gewandt: »Sie kommen raus.«
Bo schrie wieder etwas.
Thomas Ilic sagte: »Er flucht.«
Jetzt erschien Marion Söllien im Eingang, unmittelbar nach ihr kam Bo. Er war so groß, dass er den Kopf unter dem Türstock beugen musste. Mit der linken Hand hielt er Marion Söllien an den Haaren fest, als trüge er ihren Kopf vor sich her, mit der rechten drückte er ihr die Pistole an die Schläfe. Sie traten vor das Haus, gingen in die Mitte der Lichtung, Bo brüllte voller Wut, Marion Söllien schrie vor Schmerzen und Angst, das kann nicht sein, dachte Louise, die gehört doch dazu, aber es war offensichtlich, dass Marion Söllien panische Angst hatte.
»Er flucht«, sagte Thomas Ilic.
»Du bist sicher, dass du ihn richtig verstehst?«, fragte Pauling.
»Er sagt: Scheiße, ihr Affen, ihr Arschlöcher, verfluchte Scheiße, fickt eure Mutter, fickt eure Mutter, fickt eure …«
»Schon gut«, sagte Pauling.
Marion Söllien hatte die Hände gehoben, nach Bos Fingern gegriffen, und Bo stieß sie jetzt ein Stück vor, ohne sie loszulassen, und brüllte noch lauter.
»Unternehmt doch was«, murmelte Louise.
Pauling wandte den Kopf und musterte sie. Sein Blick schien aus weiter Ferne zu kommen und war zugleich intensiv. Als hätten sie sich vor vielen Jahrzehnten einmal sehr nahe gestanden und dann nicht mehr. Dabei wussten sie kaum mehr voneinander als den Namen.
Zumindest galt das für sie. Wusste Pauling mehr?
Endlich drehte er sich weg.
Marion Söllien war auf die Knie gesunken, lehnte an Bos Bein, den Rücken durchgedrückt, die Hände an seinen Fingern.
Bo hielt die Pistole an ihren Kopf gepresst, schwieg jetzt. Einen Moment lang bewegten sie sich nicht, waren im porösen Abendlicht zu einer grausigen Skulptur erstarrt.
Der Henker und sein Opfer.
»Als wollte er sie hinrichten«, flüsterte Thomas Ilic.
Louise nickte. »Pauling …«
»Er wird nicht schießen«, sagte Bermann.
»Nein«, sagte Pauling.
Thomas Ilic zog sie ein Stück zur Seite und brachte den Mund an ihr Ohr. Vorsicht mit Pauling, sagte er, das ist ein Onkel von Theres, du weißt schon, die Theres. Sie nickte erschrocken. Die Theres, die Rallyes fuhr. Die mit Niksch verlobt gewesen war.
»Durchatmen«, sagte
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