Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
auf.
Neben Anne Wallmer ging sie den Hügel hoch und in den Wald hinein. Das Haus, das Marcel beschrieben hatte, lag auf einer kleinen Lichtung etwa dreihundert Meter von Hinterheuweiler entfernt. Vor ihnen, kaum noch sichtbar in der hereinbrechenden Dämmerung, bewegten sich die Beamten des MEK zwischen den Bäumen. Der Abstand wuchs rasch. Anne Wallmer begann zu laufen, und auch Louise beschleunigte ihre Schritte. Immer wieder dachte sie an Marcel, der die Strippen zog. Der so viel wusste und so spät den Kontakt zur Kripo hergestellt hatte. Und sie dachte an Almenbroichs Entscheidung, Marcel fünfzehn Stunden zu gewähren. Die alten Vorbehalte gegen den BND
rührten sich. Die kochen ihr eigenes Süppchen. Die sind an Kooperation nicht wirklich interessiert. Die übertreiben wie immer. Und werden am Ende im entscheidenden Moment zu spät kommen.
Kurz darauf begann ihr Handy zu vibrieren. Im Laufen zog sie es aus der Hosentasche. Der Freund aus Islamabad. Aber der Empfang war schlecht. Sie lief ein paar Meter Richtung Waldrand. »Jetzt«, sagte sie keuchend. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Anne Wallmer stehen geblieben war und auf sie wartete. Unvermittelt fiel ihr ein, dass es in Islamabad gegen Mitternacht gehen musste. Ein Freund, der Überstunden machte.
War das verantwortungsbewusst oder verdächtig? Sie verdrängte das aufkeimende Misstrauen.
»Der Mann, nach dem Sie gefragt haben.«
»Ja?«
»Er ist weg.«
Halid Trumic hatte das PADE-Büro mittags verlassen und war nicht zurückgekehrt. In seiner Wohnung hielt er sich, soweit man das überprüfen konnte, nicht auf. Ein pakistanischer Kontaktmann der Botschaft war noch unterwegs. Suchte nach Trumic’ Auto, stellte unauffällig Fragen. Der Verbindungsbeamte sagte, er habe noch nicht alle Fluggesellschaften überprüft. Bis jetzt sei der Name nicht aufgetaucht. Vielleicht reise er unter falschem Namen. »Sie sollten damit rechnen, dass er zu Ihnen unterwegs ist, Kollegin.«
Louise sagte nichts. Auch Halid Trumic auf dem Weg nach Freiburg?
Sie warf einen Blick auf Anne Wallmer, die ihr hektisch bedeutete zu kommen. Die Kollegen von MEK und Kripo waren nicht mehr zu sehen. Sie hob eine Hand. Gleich.
»Noch Fragen?«
»Im Moment nicht.«
»Sie hören von mir.«
Sie kehrte zu Anne Wallmer zurück. Die Pakistaner, dachte sie, nun vielleicht auch Halid Trumic. Und irgendwo warteten Marcel und der BND. Der Schwerpunkt schien sich zu verlagern, weg von den Waffen, PADE und Bo, hin zu den Pakistanern, Marcel, vielleicht Trumic.
Dorthin, wo in den nächsten fünfzehn Stunden keine Kripobeamten waren.
Der Hügel wurde steiler, der Wald dichter. Sie bekam Seitenstechen, blieb stehen, um zu verschnaufen. Anne Wallmer wartete, sie hob eine Hand, gleich, Anne Wallmer nickte verständnisvoll. Sie stützte die Hände auf die Knie, schloss die Augen, atmete in tiefen Zügen ein und aus. Das Seitenstechen blieb. Schlafen, dachte sie, endlich schlafen, für immer schlafen, sofort schlafen. In den nächsten fünfzehn Stunden, beschloss sie, würde sie keinen Schritt mehr tun. Sie würde der Müdigkeit, der Erschöpfung endlich nachgeben, sich auf den Waldboden legen und erst morgen Mittag wieder aufstehen. Erleichtert ließ sie sich auf den Hintern fallen. Sie hatte ohnehin keine Lust, heute in ihre Wohnung zurückzukehren. Marcel und der Amerikaner waren in ihrer Wohnung. Der Amerikaner aus Franken.
Sie musste lachen.
Plötzlich war Anne Wallmer neben ihr.
»Der Amerikaner aus Franken«, sagte sie und lachte.
Vielleicht weinte sie auch. Warum ausgerechnet ich?, dachte sie.
Warum schon wieder ich? Warum kommen die ausgerechnet zu mir? Nimmt das denn nie ein Ende? Warum immer ich?
»Na komm«, sagte Anne Wallmer.
»Nee.«
Anne Wallmer zog sie sanft, aber unnachgiebig hoch.
»Seitenstechen«, sagte Louise.
Anne Wallmer nickte. »Wir gehen langsamer, Luis, okay?«
»Luis, der Dobermann.« Sie lachte oder weinte wieder. Für einen Moment hielt sie es für möglich, dass sie betrunken war.
Dass sie irgendwann getrunken hatte, ohne es zu bemerken.
Oder es vergessen hatte. Das Gefühl im Kopf war ähnlich. Die Schwäche in den Beinen.
Aber es lag nur an der Erschöpfung.
»Der Dobermann?«
Sie nickte. Anne Wallmer blickte sie verständnislos an. »Na komm«, sagte Louise.
Sie eilten weiter. Blut rauschte durch ihr Gehirn, Impulse sandten Informationen, einzelne Wörter entstanden, Gedanken formierten sich. Das ist jetzt wichtig, Luis, sagten die
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